Literaturgeschichte 750-1500
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109<br />
daz was mit êre bespart<br />
und was der Minnen benant,<br />
la fossiur’ a la gent amant:<br />
daz kît der minnenden hol.<br />
Der name gehal dem dinge ouch wol.<br />
Ouch saget uns diz mære,<br />
diu fossiure wære<br />
sinewel, wît, hôch unde ûfreht,<br />
snêwîz, alumbe eben und sleht.<br />
Daz gewelbe daz was obene<br />
beslozzen wol ze lobene;<br />
oben ûf dem slôze ein krône,<br />
diu was vil harte schône<br />
mit gesmîde gezieret,<br />
mit gimmen wol gewieret,<br />
und unden was der esterîch<br />
glat unde lûter unde rîch,<br />
von grüenem marmel alse gras.<br />
Ein bette in mitten inne was<br />
gesniten schône und reine<br />
ûz kristallînem steine<br />
hôch unde wît, wol ûf erhaben,<br />
alumbe ergraben mit buochstaben;<br />
und seiten ouch die mære,<br />
daz ez bemeinet wære<br />
der gotinne Minne.<br />
Zer fossiur’ oben inne<br />
dâ wâren kleiniu vensterlin<br />
durch daz lieht gehouwen în,<br />
diu lûhten dâ unde hie.<br />
Dâ man ûz und în gie,<br />
dâ gieng ein tur êrîniu vür;<br />
und ûzen stuonden obe der tür<br />
esterîcher linden drî<br />
und obene keiniu mê derbî,<br />
aber umbe und umbe hin ze tal<br />
dâ stuonden boume âne zal,<br />
die dem berge mit ir blate<br />
und mit ir esten bâren schate.<br />
Und einhalp was ein plânje,<br />
dâ flôz ein funtânje,<br />
ein frischer küeler brunne,<br />
durchlûter als diu sunne.<br />
Dâ stuonden ouch drî linden obe<br />
schœn’ und ze lobelîchem lobe,<br />
die schermeten den brunnen<br />
vor regene und vor sunnen.<br />
Liehte bluomen, grüene gras,<br />
mit den diu plânje erliuhtet was,<br />
die kriegeten vil suoze enein.<br />
Ietwederez daz schein<br />
daz ander an enwiderstrît.<br />
Ouch vant man dâ ze sîner zît<br />
daz schœne vogelgedœne.<br />
Daz gedœne was sô schœne<br />
und schœner dâ dan anderswâ.<br />
Ouge und ôre heten dâ<br />
weid’ unde wunne beide:<br />
daz ouge sîne weide,<br />
daz ôre sîne wunne.<br />
Dâ was schate und sunne,<br />
der luft und die winde<br />
senfte unde linde.<br />
Von disem berge und disem hol<br />
sô was ein tageweide wol<br />
velse âne gevilde<br />
und wüeste unde wilde.<br />
Dar enwas dehein gelegenheit<br />
an wegen noch stîgen hin geleit;<br />
war sie der Ehre gewidmet<br />
und der Minne geweiht,<br />
la fossiure a la gent amant:<br />
das heißt (kît stimmloser Anlaut nach z für giht ‚sagt‘) „die Grotte (‚Höhle‘) der<br />
Liebenden“. Der Name entsprach der Sache auch gut.<br />
Auch erfahren wir in dieser Geschichte,<br />
die Grotte sei<br />
rund, weit, hoch und hochstrebend,<br />
schneeweiß, rundherum glatt und eben.<br />
Das Gewölbe war oben<br />
ordentlich abgeschlossen,<br />
mit einer Krone auf dem Schlußstein,<br />
die war sehr schön<br />
mit Geschmeide verziert,<br />
mit Gemmen schön geschmückt;<br />
und unten war der Estrich<br />
glatt, lauter und prächtig,<br />
aus grasgrünem Marmor.<br />
In der Mitte stand ein Bett,<br />
aus einem Kristall schön und rein<br />
geschnitten,<br />
hoch und weit, mit Reliefarbeit,<br />
rundherum mit einer eingravierten Inschrift.<br />
Die besagte,<br />
dass es der Göttin Minne geweiht wäre.<br />
Oben waren in die Grotte<br />
zierliche Fenster gehauen,<br />
damit das Licht hereinkam;<br />
die erglänzten hin und wieder.<br />
Vor dem Eingang<br />
lag eine Tür aus Erz.<br />
Und draußen standen ober der Tür<br />
drei astreiche Linden,<br />
und sonst keine mehr.<br />
Aber rund herum bis ins Tal<br />
standen zahllose Bäume,<br />
die dem Berg mit ihren Blättern<br />
und ihren Ästen Schatten spendeten.<br />
Und in diesem Tal war eine Ebene,<br />
in der floß eine Quelle,<br />
ein frischer kühler Brunnen,<br />
klar wie die Sonne.<br />
Da standen auch drei Linden oben,<br />
schön und rühmenswert,<br />
die schützten den Brunnen<br />
vor Regen und Sonne.<br />
Bunte Blumen, und grünes Gras,<br />
die die Ebene erhellten,<br />
wetteiferten (‚bekriegten‘) lieblich miteinander.<br />
Jedes glänzte<br />
das andere im Wettstreit an.<br />
Auch erlebte man da zu bestimmten Stunden<br />
den schönen Vogelsang.<br />
Der Vogelsang war so schön,<br />
noch schöner als anderswo.<br />
Augen und Ohren hatten da<br />
Weide und Wonne:<br />
das Auge seine Weide,<br />
das Ohr seine Wonne.<br />
Da gab es Schatten und Sonnenschein,<br />
Luft und Winde<br />
sanft und lind.<br />
Von diesem Berg und dieser Grotte<br />
gab es im Umkreis einer Tagereise<br />
nur Felsen ohne Felder<br />
und Wüste und Wildnis.<br />
Dorthin führte nichts<br />
an Wegen noch Stegen;