Literaturgeschichte 750-1500
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112<br />
von den der muot in flücke wirt,<br />
fliegende lop nach tugenden birt.<br />
Diu want was wîz, eben und sleht:<br />
daz ist der durnæhte reht,<br />
der wîze und ir einbære schîn<br />
der ensol niht missemâlet sîn.<br />
An ir sol ouch dehein arcwân<br />
weder bühel noch gruobe hân.<br />
Der marmelîne esterîch<br />
der ist der stæte gelîch<br />
an der grüene und an der veste.<br />
Diu meine ist ime diu beste<br />
von varwe und von slehte:<br />
diu stæte sol ze rehte<br />
ingrüene sîn, reht’ alse gras,<br />
glat unde lûter alse glas.<br />
Daz bette inmitten inne<br />
der kristallînen minne,<br />
daz was vil rehte ir namen benant.<br />
Er hæte ir reht vil rehte erkant,<br />
der ir die kristallen sneit<br />
ze ir legere und z’ ir gelegenheit:<br />
diu minne sol ouch kristallîn,<br />
durchsichtic und durchlûter sîn.<br />
Innen an der êrînen tür<br />
dâ giengen zwêne rigele vür.<br />
Ein valle was ouch innen<br />
mit kündeclîchen sinnen<br />
hin ûz geleitet durch die want,<br />
aldâ si ouch Tristan dâ vant:<br />
die meisterte ein heftelîn,<br />
daz gie von ûzen dar în<br />
und leite si dar unde dan.<br />
Noch slôz noch slüzzel was dar an.<br />
Und wil iu sagen umbe waz:<br />
dane was niht slôzes umbe daz:<br />
swaz man gerüstes vür die tür<br />
(ich meine ûzerhalp dervür)<br />
ze rûme oder ze slôze leit,<br />
daz tiutet allez valscheit;<br />
wan swer zer Minnen tür în gât,<br />
den man von innen niht în lât,<br />
daz enist der minnen niht gezalt,<br />
wan daz ist valsch oder gewalt.<br />
Durch daz ist dâ der Minnen tor,<br />
diu êrîne tür vor,<br />
die niemen kan gewinnen,<br />
ern gewinne si mit minnen.<br />
Ouch ist si durch daz êrîn,<br />
daz dehein gerüste müge gesîn<br />
weder von gewalte noch von kraft,<br />
von liste noch von meisterschaft,<br />
von valscheite noch von lüge,<br />
dâ mite man si verscherten müge.<br />
Und innen ietweder rigel,<br />
ietweder minnen ingesigel,<br />
daz was zem anderen gewant<br />
ietwederhalben an der want;<br />
und was der einez cêderîn,<br />
daz ander helfenbeinîn.<br />
Nu vernemet die tiute ir bêder:<br />
daz eine insigel der cêder<br />
daz meinet an der minne<br />
die wîsheit und die sinne:<br />
daz von helfenbeine<br />
die kiusche und die reine.<br />
Mit disen zwein insigelen,<br />
mit disen reinen rigelen<br />
sô ist der Minnen hûs bewart,<br />
mit denen das Gemüt flügge wird<br />
und im Fliegen durch seine Tugenden Ruhm erntet.<br />
Die Wand war weiß, eben und gerade:<br />
das ist das Wesen der Vollkommenheit,<br />
deren Weiße und einheitlicher Glanz<br />
nicht durch andere Farbe gestört werden soll.<br />
An ihr soll auch kein Argwohn<br />
Buckel oder Gruben bilden.<br />
Der marmorne Estrich<br />
entspricht der Beständigkeit<br />
mit seiner grünen Farbe und seiner Festigkeit.<br />
Diese Bedeutung entspricht ihm bestens,<br />
sowohl gemäß seiner Farbe, als auch gemäß<br />
seiner Beschaffenheit: die Treue soll mit Recht<br />
grasgrün sein,<br />
glatt und lauter wie Glas.<br />
Das Bett in der Mitte,<br />
das der der kristallenen Minne,<br />
das war mit vollem Recht nach ihr benannt.<br />
Der hatte über ihr Wesen sehr gut Bescheid gewußt,<br />
der ihr den Kristall zugeschnitten hatte<br />
für ihr Lager und zu ihrer Gelegenheit:<br />
die Minne soll kristallen,<br />
durchsichtig und durch und durch klar sein.<br />
Innen war die erzene Tür<br />
mit zwei Riegeln verschlossen.<br />
Eine Klinke führte von innen<br />
kunstvoll<br />
durch die Wand nach außen,<br />
die entdeckte Tristan dort.<br />
Die wurde von einem Hebel gelenkt,<br />
der von außen hinein führte<br />
und sie in die eine oder andere Richtung umlegte.<br />
Weder Schloß noch Schlüssel gab es an ihr.<br />
Ich sage euch, warum:<br />
da gab es kein Schloß, weil<br />
alle Vorrichtungen, die man außen an die Tür<br />
befestigt,<br />
um sie zu öffnen oder zu schließen,<br />
Falschheit bedeuten.<br />
Denn wenn jemand zur Tür der Minne hineingeht,<br />
den man nicht von innen hineinläßt,<br />
so ist das keine Minne,<br />
sondern Falschheit oder Gewalt.<br />
Deswegen ist davor das Tor der Minne,<br />
die Tür aus Erz,<br />
die niemand überwältigen kann,<br />
es sei denn mit Minne.<br />
Sie ist deswegen von Erz,<br />
damit man weder mit Gewaltanstrengung noch<br />
mit Kraft,<br />
weder mit Kunst noch Meisterschaft,<br />
weder mit Falschheit noch mit Lüge<br />
sie beschädigen kann.<br />
Und die beiden Riegel innen,<br />
die Siegel der Minne,<br />
die waren von den beiden Wänden her<br />
einander zugewandt.<br />
Das eine war aus Zedernholz,<br />
das andere aus Elfenbein.<br />
Hört, was die beiden bedeuten:<br />
das Siegel aus Zeder<br />
bedeutet die Weisheit und den Verstand<br />
in der Minne,<br />
das aus Elfenbein<br />
die Keuschheit und Reinheit.<br />
Mit diesen beiden Siegeln,<br />
diesen reinen Riegeln,<br />
ist der Palast der Minne gesichert