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Kompakte Notebooks Kompakte Notebooks - Wuala

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Illustrationen: Michael Thiele, Dortmund<br />

Die Soldaten in den blaugrünen Uniformen<br />

lachten, als sie von der Ladefläche<br />

des LKW sprangen. Sie witzelten<br />

in verschiedenen Sprachen. Französisch<br />

und Englisch erkannte ich, dazu kamen<br />

noch andere Idiome, doch die Männer in<br />

den sandfarbenen Uniformen und den<br />

blauen Käppis verstanden einander, klopften<br />

sich gegenseitig auf die Schultern, während<br />

sie die hintere Klappe öffneten. Dann<br />

bemerkten sie, dass wir bereits am Übergabepunkt<br />

warteten, und beendeten ihre<br />

Gespräche. Mit ernsten Mienen, die ihr vorheriges<br />

Verhalten konterkarierten, nahmen<br />

sie zwei 20 Zentimeter hohe Metallurnen<br />

und brachten sie zu uns.<br />

Wir wussten, dass sie nicht mit uns reden<br />

durften, also erwarteten wir auch keine<br />

Geste des Bedauerns oder Mitgefühls von<br />

ihnen.<br />

Mit einer angedeuteten Verbeugung nahmen<br />

Atembé und ich die Überreste unserer<br />

Brüder in Empfang. Wir würdigten die Soldaten<br />

keines Blickes mehr, sondern gingen,<br />

verstreuten wenig später die Asche von<br />

121.271 und 121.272 am Mahnmal unseres<br />

Krieges, der vom Feind nicht als Krieg bezeichnet<br />

wurde.<br />

Die Namen unserer Brüder waren nicht<br />

mehr wichtig, sie blieben eine weitere Nummer<br />

auf dem Weg, den Krieg zu gewinnen.<br />

Offiziell waren auch sie ertrunken in schwerer<br />

See, ohne dass sie gerettet werden konnten.<br />

Doch wir kannten die Wahrheit, kannten<br />

die Berichte von Schusswunden und die<br />

wahren Gründe, warum wir nur die Asche erhielten.<br />

„Marco?“, fragte Atembé mich.<br />

„Ja?“<br />

„Trockne deine Tränen. Sie sind nicht umsonst<br />

gestorben.“<br />

Ich wischte die Nässe von meinen Wangen<br />

und nickte, obwohl ich Atembé nicht<br />

zustimmen konnte. Auch 121.271 und<br />

121.272 waren einen sinnlosen Tod gestorben.<br />

Der Weg ins gelobte Land blieb verschlossen.<br />

Doch wir würden ihn entriegeln<br />

– bald.<br />

Atembé Mbwalo, der nur noch Luca Silvestri<br />

genannt werden wollte, gab<br />

den Startschuss, als das EU-Help-and-<br />

Care-Center seine Pforten öffnete und wir in<br />

den ans Brett gehängten Nachrichten die<br />

neuen Einreisevorschriften lasen.<br />

„Hey, Luca!“, rief ich. „Ist es das, worauf wir<br />

gewartet haben?“<br />

„Oui, mon frère!“, antwortete Atembé,<br />

grinste dabei. „Jetzt geht es endlich los,<br />

Marco.“<br />

Seine Begeisterung war ansteckend. Ich<br />

grinste zurück, dachte an die achtjährige<br />

Vorbereitung und freute mich mit ihm. Unser<br />

langgehegter Plan kam ins Rollen.<br />

Ich ignorierte die angeschlagenen Stellenangebote,<br />

die im Grunde nur auf Sklaverei<br />

hinausliefen. In verschiedenen Sprachen<br />

suchten Firmen in der EU Zeitarbeiter für<br />

Jobs, wie Solarpanel-Reiniger, Hilfskräfte<br />

in der Landwirtschaft und, was mir am<br />

schlimmsten aufstieß, für Hilfsarbeiten innerhalb<br />

der marokkanischen EU-Exklave, also<br />

auf der anderen Seite des Todes-Zaunes.<br />

Dort durften meine Brüder und Schwestern<br />

am Duft der Verheißung schnüffeln, aber das<br />

gelobte Land niemals betreten. Neben der<br />

zeitlichen Begrenzung war dies auch eine<br />

einmalige Beschäftigung, da die Sicherheitskräfte<br />

Spione befürchteten.<br />

Wie Recht sie hatten, wussten sie nicht.<br />

Würden sie auch nicht erfahren, wenn es<br />

nach uns ginge.<br />

Atembé und ich fragten am Info-Schalter<br />

nach Medikamenten für unsere kranke Mutter<br />

und erhielten sie auch. Die Soldaten<br />

waren freigiebig mit Verbänden, Schmerzund<br />

Betäubungsmitteln. Die Hauptsache<br />

war, dass wir so schnell wie möglich wieder<br />

verschwanden. Und den Gefallen taten wir<br />

ihnen. In der glühenden Januarsonne stopfte<br />

mir Atembé die Taschen voll mit der ergaunerten<br />

Beute.<br />

„Bring es ins Quartier! Nutze Weg C in den<br />

Bunker. Er dauert zwar länger, aber ich will in<br />

den letzten Tagen kein Risiko mehr eingehen.<br />

Ich kontaktiere die Brüder. Wir müssen<br />

schnell handeln.“<br />

Ich nickte, dann trennten wir uns.<br />

Später am Tag erwartete mich im Bunker<br />

maschinengewehrschnelles Tastaturgeklapper.<br />

„Friede, Bruder! Lass unser Geschenk heil“,<br />

sagte ich.<br />

Atembé lachte bitter auf und unterbrach<br />

seine Arbeit am Notebook. „Wenn es kaputt<br />

ist, werden uns unsere Freunde ein neues liefern.<br />

Ein Notebook für jeden, war der Wahlspruch,<br />

und sie haben sich daran gehalten.<br />

Doch ein Notebook ernährt keinen Menschen<br />

und schafft kein Wasser herbei. Aber es beruhigt<br />

das Gewissen unserer Wohltäter.“<br />

Ich verstand Atembés Verbitterung,<br />

schließlich fühlte ich sie auch, doch sein Hang<br />

zum Hasspredigen ging mir auf die Nerven.<br />

So nickte ich nur, entledigte mich der Last<br />

der Medikamente und wandte mich dann<br />

wieder an Atembé, blickte ihm über die<br />

Schulter auf den Bildschirm.<br />

„Was schaust du nach?“, fragte ich.<br />

„Wir haben die Nachricht heute gelesen,<br />

aber dies bedeutet nicht notwendigerweise,<br />

dass die automatischen Kontrollen an jedem<br />

Übergang eingesetzt werden“, erklärte<br />

Atembé.<br />

„Aha“, entgegnete ich vieldeutig.<br />

Er lachte und dozierte weiter: „Nun, wir<br />

wissen, dass für alle Bürger der EU der Implant-ID-Chip<br />

seit acht Jahren vorgeschrieben<br />

ist. Dies wollten wir nutzen.“<br />

„Klar!“, stimmte ich ihm zu.<br />

„Und wir wissen, dass der Chip bislang nur<br />

für Zugangskontrollen innerhalb der EU genutzt<br />

wurde. Du konntest deine Tür damit<br />

öffnen, dich bei der Bank legitimieren oder<br />

die Alarmanlage deines Hauses steuern.“<br />

Ich nickte wieder.<br />

Atembé wies auf den Bildschirm: „Ab dem<br />

heutigen Tag wird der Implant-ID-Chip auch<br />

als Reisedokument eingesetzt werden. Jeder<br />

Bürger der EU wird bei der Ausreise einer<br />

automatischen Kontrolle unterzogen. Seine<br />

ID-Nummer wird gespeichert, bei seiner<br />

Rückkehr verglichen und aus der Datenbank<br />

wieder ausgetragen. Ein narrensicheres System,<br />

für das automatische Gateways einen<br />

zusätzlichen Einspar-Effekt bieten werden,<br />

da sie ohne menschliches Personal funktionieren.“<br />

„Ja, Bruder. Das weiß ich doch! Wir werden<br />

uns Chips implantieren und mit der Identität<br />

eines EU-Bürgers einreisen. Aber was kontrollierst<br />

du noch?“<br />

Atembé sah mich durchdringend an. In<br />

solchen Momenten spürte ich, dass er mir in<br />

seinem Innersten nicht vollends vertraute.<br />

Und ich hatte miterlebt, wie er mit Menschen<br />

umging, die ihn betrogen hatten. Auf keinen<br />

Fall wollte ich so enden, daher hielt ich seinem<br />

Blick stand.<br />

Nach einigen Sekunden meinte er nur:<br />

„Marco! Ich verschaffe uns eine sichere Passage.<br />

Schau doch, Bruder! Wir können drei<br />

verschiedene Übergänge nutzen, doch ich<br />

muss wissen, zu welchem Zeitpunkt das<br />

automatische Gateway installiert wird. Oder<br />

möchtest du dich mit Soldaten der EU-Legion<br />

rumschlagen, die sich über dein für<br />

europäische Augen fremdartiges Aussehen<br />

wundern? Ich will es nicht. Ich will einen<br />

Computer, einen Rechner als Gegner, den<br />

ich beeinflussen, den ich manipulieren<br />

kann, alles das anwenden, was mir unsere<br />

Wohltäter in mühseligen Unterrichtsstunden<br />

beigebracht haben. Ich will diese Teufel<br />

mit ihren eigenen Waffen schlagen, beweisen,<br />

dass ich schlauer bin als sie. Verstehst<br />

du mich, Bruder? Ich werde keinen Fehler<br />

machen.“<br />

Darauf antwortete ich nicht, sondern<br />

schloss meine Augen und legte meine Stirn<br />

an seine.<br />

Atembé beruhigte sich wieder, klopfte mir<br />

aufmunternd auf die Schulter und widmete<br />

sich dann wieder seinen Recherchen.<br />

Mein Handy klingelte. „Ja?“, fragte ich in<br />

das Mikrofon.<br />

„Othame? Bist du das?“<br />

„Ja, Rundé! Aber du sollst mich nicht mit<br />

diesem Namen ansprechen“, antwortete ich<br />

ärgerlich.<br />

„Marco! Entschuldige …“, begann Rundé,<br />

um dann plötzlich zu stocken. Die Verbindung<br />

brach ab.<br />

Irritiert starrte ich auf das Display des Handys.<br />

„Was ist?“, fragte Atembé, ohne vom Bildschirm<br />

aufzusehen.<br />

„Es war Rundé, der anrief, aber er hat<br />

plötzlich aufgelegt.“<br />

„Jetzt werd nicht nervös, vielleicht gab es<br />

nur eine Störung im Netz. Er wird sich schon<br />

noch melden.“<br />

„Weißt du, was er wollte, Luca?“, fragte ich<br />

Atembé.<br />

„Ich habe ihm einen Auftrag erteilt.“<br />

„Wel…“ Das Handy klingelte wieder.<br />

„Ja?“<br />

c’t 2009, Heft 2<br />

©<br />

Copyright by Heise Zeitschriften Verlag GmbH & Co. KG. Veröffentlichung und Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Heise Zeitschriften Verlags.<br />

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