Organisatorischer Zusammenschluss von Kleinunternehmen in der ...

Rahmeninformationen zu Sierra Leone: Prekarisierung und Rehabilitierung eines Staates
1.1 Prekarisierung und Delegitimierung des Staates
Übereinstimmend kommen nahezu alle Experten auf dem Gebiet der sierra-leonischen Geschich-
te zu dem Schluss, dass die Prekarisierung des Staates und der daraus resultierende Krieg in erster
Linie auf die autokratische und personalisierte Herrschaft Siaka Stevens von 1968 bis 1985 zu-
rückzuführen sind (ALBRECHT/MALAN 2006: 35). Zwar begann die Informalisierung der Politik
bereits unter dessen Vorgänger Albert Margai, dem Bruder des beliebten ersten Präsidenten Sir
Milton Margai (FYLE 2006: xli, HIRSCH 2001: 28). Jedoch entstand vor allem in der Ägide Siaka
Stevens aus den Reihen des All People’s Congress (APC) ein hochzentralisiertes, ineffizientes und
korruptes bürokratisches System, das die Bevölkerung marginalisierte und den Bürgern ihren Frei-
heiten und Rechten beraubte (ALIE 2006: 18). Nicht mehr Leistung, sondern klientelistische Be-
ziehungen waren fortan das konstituierende Merkmal der persönlichen Gewinnerwartungen 29
(ALIE 2006: 19, HIRSCH 2001: 24f. und 28, KEEN 2005: 14). Mit der Machtübernahme Stevens
wurde „[t]he decline of politics and the politics of decline” 30 eingeläutet (ZACK-WILLIAMS 2002:
298). Auch KALLON sieht in seiner Untersuchung „The Political Economy of Corruption in Sierra
Leone“ (2004) die Korruption und Misswirtschaft unter Stevens und dessen Nachfolger Momoh
als die Ursache der prekären Staatlichkeit und deren desaströser Folgen. Die Herrschaft Stevens
war geprägt von einem allmählichen und anhaltenden Verfall der Wirtschaft, bei augenscheinli-
cher Korruption und Maßnahmen zum eigenen Machterhalt. So wurden seine Gegner in die eige-
nen Reihen inkorporiert, klientelistische Beziehung zum Militär ausgebaut sowie 1978 nach Un-
ruhen in Folge von Studentenprotesten am Fourah Bay College Neuwahlen ausgerufen. Freilich
erst nachdem das Parlament ein Gesetz verabschiedete, das die Einparteienherrschaft ermöglichte
(FYLE 2006: xli f.). Stevens korrumpierte und zerstörte während seiner Herrschaft sämtliche Insti-
tutionen des Staates („seventeen-year plague of locusts“). Das Parlament wurde bedeutungslos,
Richter eingeschüchtert oder bestochen, die Universität nicht mehr finanziert, Ausbildung zu
Gunsten der Akquirierung schnellen Reichtums zurückgefahren und die Leistungsfähigkeit der
29 Vor allem auf Grundlage der beiden großen vorherrschenden Ethnien wurde Rivalität politisch konstruiert und fand
so Eingang in die Parteienlandschaft. Die vor allem im Süden und Südosten ansässigen Mende werden in erster Linie
der Sierra Leone People’s Party (SLPP), die vor allem im Norden beheimateten Temne vorrangig der APC zugeordnet.
30 So der Titel des Aufsatzes von Zack-Williams, Alfred B. (1987): Sierra Leone, 1968-85: The Decline of Politics and
the Politics of Decline in Sierra Leone. In: Jones, Adams/Mitchell, Peter K. (Hrsg.): Sierra Leone Studies at Birmingham
1985. Birmingham.
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