Die Geschichte des Seyns (GA 69) - gesamtausgabe
Die Geschichte des Seyns (GA 69) - gesamtausgabe
Die Geschichte des Seyns (GA 69) - gesamtausgabe
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
80<br />
Was die Macht feststellt, ist je<strong>des</strong>mal in bezug auf die je gerade<br />
ins Auge gefaßte und zur Mitteilung ausgewählte Tatsache<br />
unbedingt richtig. Es gibt keine andere Hinsicht auf andere<br />
Dinge, von der aus und innerhalb deren das Gesagte sogleich nur<br />
bedingt richtig sein müßte. Alle Aussagen der Macht sind unbedingt<br />
wahr. Wo daher verschiedene Machtpositionen einander<br />
entgegenstehen, sagt jede für sich ihre unbedingte Wahrheit.<br />
Keiner lügt. Und doch lügen alle. Genauer bedacht: da je<strong>des</strong>mal<br />
Jegliches in dem genannten Sinne unbedingt wahr ist, muß auch<br />
je<strong>des</strong>mal diese Art von Machtwahrheit unbedingt falsch sein.<br />
Noch deutlicher: ob wahr oder falsch in dem Sinne, daß in jeder<br />
Hinsicht je etwas bestimmt wird, dieses »ob-oder« ist für die<br />
Macht unwesentlich. Das »Wahre« kann auch ruhig und muß<br />
sogar das Falsche sein, denn auch das Falsche ist nicht das, worauf<br />
die Macht sich gründet und wonach sie sich selbst abschätzen<br />
und beurteilen ließe. Das Wahre ist eigentlich nur das<br />
Machtgemäße. Hier von einem Nutzen zu reden, führt leicht<br />
irre; da es ja auch nicht auf ein Nützliches für irgendwen und<br />
irgendeinen Zweck ankommt. Es gilt die Ermächtigung der<br />
Macht, und das Wahre ist wahr nicht als nützliches, sondern als<br />
in sich mächtiges.<br />
Man kann sich über diese Art von Wahrheit moralisch entrüsten,<br />
man muß aber wissen, daß dieses keine der Macht entsprechende<br />
Antwort ist. Auch kann der Rückzug ins Moralische<br />
dieses Wahrheitswesen, das Nietzsche überdies erkannt hat,<br />
niemals in seinem seynsgeschichtlichen Wesen ergründen und<br />
eine Überwindung vorbereiten. Man kann mit Hilfe der Moral<br />
nur ausweichen und d. h. sich selbst aus der <strong>Geschichte</strong>, die über<br />
die Loslassung <strong>des</strong> Machtwesens in die Machenschaft geht, ausschließen.<br />
<strong>Die</strong> Kläglichkeit <strong>des</strong> Christentums zeigt sich darin am deutlichsten,<br />
daß es zwischen unbedingten Machtpositionen hin und<br />
her pendelt und je nach Bedarf der einen oder anderen noch ihre<br />
<strong>Die</strong>nste anbietet.<br />
Hier wird auch erkennbar, daß im Bereich <strong>des</strong> hinschwin-