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JAHRBUCH - Glowfish

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Randbemerkungen zu dem Buch von Witteis: Die sexuelle Not. 31iJ<br />

sie alle. Nirgends ist so sehr wie hier die Ermahnung am Platze, sich<br />

des enthusiastischen Beifalles einerseits zu enthalten und anderseits<br />

nicht blindwütig dagegen anzurennen, sondern sich leidenschaftslos<br />

klar zu machen, daß das, worüber sich draußen die Menschen streiten,<br />

auch ein Kampf in unserm eigenen Innern ist. Denn man muß sich<br />

doch endlich die Erkenntnis zu eigen machen, daß die Menschheit nicht<br />

eine Anhäufung getrenntester Individualitäten ist, sondern einen so<br />

hohen Grad von psychologischer Gemeinschaftlichkeit besitzt, daß das<br />

Individuelle daneben bloß wie eine leise Variation erscheint. Wie sollen<br />

wir aber gerecht über diese Sache urteilen, wenn wir uns nicht emgestehen<br />

können, daß es auch unsere Frage ist? Wer dies sich selber<br />

bekennen kann, der wird auch bei sich zuerst die Lösung versuchen,<br />

und so bahnen sich überhaupt die großen Lösungen an.<br />

Es steckt noch ein zu großes Stück Zirkusschaulust in den Menschen,<br />

wenn sie so gar begierig sind, immer gleich wissen und entscheiden<br />

zu wollen, wer endgültig Recht oder Unrecht hat.<br />

Wenn man die Fundamente<br />

und Hintergründe seines Denkens und Handelns untersuchen<br />

gelernt und einen recht tiefen und heilsamen Eindruck davon empfangen<br />

hat, wieviel unbewußte biologische Zweckdienlichkeit unsere<br />

Logik beugt, dann vergeht einem die Lust an Gladiatorenkampf und<br />

öffentlicher Disputation, man macht es in und mit sich selber aus.<br />

Dabei bewahrt man sich die Perspektive, die unserer Zeit, der em<br />

Nietzsche als bedeutendes Omen voraufging, besonders von Nöten<br />

ist. Witteis wird gewiß nicht allein bleiben, er ist nur einer der<br />

ersten und einer von vielen, die aus den Schächten dieser wahrhaft<br />

biologischen Psychologie Freuds „ethische" Folgerungen heraufbringen<br />

werden, vor denen das bisher „Gute" bis ins Mark erschauern<br />

wird. Wie ein witziger Franzose einmal bemerkte, geht es den Moralisten<br />

am schlechtesten von allen Erfindern, denn ihre Neuigkeiten können<br />

stets nur Immoralitäten sein. Das ist lächerlich und traurig zugleich,<br />

denn es zeigt, wie unzeitgemäß unser Moralbegriff geworden ist: es<br />

mangelt ihm das Beste, was modernes Denken errungen hat, nämlich<br />

das biologische und das historische Bewußtsein. Dieser Mangel<br />

an Anpassung muß ihn über kurz oder lang zu Falle bringen, und nichts<br />

wird seinen Fall aufhalten. Ich muß hier an ein weises Wort von<br />

Anatole France erinnern: „Bien que le passe leur montre des droits<br />

et des devoirs sans cesse changeants et mouvants, ils se croiraient<br />

dupes<br />

s'ils prevoyaient que l'humanite future se ferait d'autres droits, d'autres<br />

devoirs et "d'autres dieux. Enfin, ils ont peur de se deshonorer aux yeux

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