06.11.2013 Aufrufe

JAHRBUCH - Glowfish

JAHRBUCH - Glowfish

JAHRBUCH - Glowfish

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

72 J. Sadger.<br />

nun schwere Vorwürfe gegen sie,<br />

die er bislang gut unterdrückt hatte.<br />

Sie sei geistlos und beschränkt, allzeit an Kleinigkeiten und Äußerlichkeiten<br />

klebend. Als er noch nicht einmal 5 Jahre alt war, habe<br />

sie ihn schon zu Unrecht bestraft, später wieder ihre Kinder gequält<br />

und ihnen kein Vergnügen gegönnt. Stets wolle sie alles selbst dirigieren.<br />

Auch sei sie geizig und dabei trotz alles Sparens doch<br />

unökonomisch.<br />

Dieser letztere Vorwurf gehört schon in ein sehr wichtiges Kapitel,<br />

den bei ihr geradezu klassisch ausgebildeten Analcharakter, der sich<br />

auf Kosten einer gut unterdrückten Analerotik bildet^). Die Mutter<br />

habe sich niemals etwas Ordentliches vergönnt, berichtet der Sohn.<br />

Wenn sie vom Lande in die Hauptstadt kam, ging sie nie ins Restaurant,<br />

sondern aß lieber etwas Kaltes am Büfett, weil dies weniger koste.<br />

Bei Einkäufen nehme sie immer die weitaus schlechteren Sachen, wenn<br />

sie nur eine Kleinigkeit billiger kämen. Am unerträglichsten aber sei<br />

ihre Ordnungssucht und Pedanterie. Jedes Ding müsse seinen bestimmten<br />

Platz haben. Wenn z. B. drei Bücher auf einem Tische liegen, müsse<br />

immer dasselbe Buch oben oder unten liegen, auch wenn sie gleich<br />

groß seien. Abends, wenn alles schlafen gegangen, gehe sie noch ein<br />

paar Stunden herum, um alles auf den richtigen Platz zu stellen. Wenn<br />

es naß war oder regnete, war ihr alles Vergnügen an einer Reise verdorben,<br />

weil sie immer daran dachte, wie die Kleider leiden würden.<br />

Nun noch ein paar weniger bekannte Symptome. ,, Mutter hatte wenig<br />

Vertrauen zu anderen. Keiner kann es ordentlich machen. Drum wünschte<br />

sie immer, alles selber zu tun, und wenn sie schon andere heranziehen<br />

mußte, so durften sie ihr höchstens Handreichung leisten. Die eigentliche<br />

Arbeit machte sie stets selbst, was alle im Hause ohne iVusnahme<br />

verdroß. Man wird sehr leicht ungeduldig, ja zornig gegen die Mutter,<br />

denn alles muß nach ihrem Kopfe gehen. Zu einer Reise entwirft sie<br />

immer ein großes Programm, das sie buchstäblich befolgt, wenn auch<br />

andere viel wichtigere Dinge dazwischen kommen"^). Endlich noch ein<br />

paar Reste der schon aufgezehrten und zur Charakterbildung verwendeten<br />

Analerotik, wie sie besonders durch die pflichtgemäße Kinderpflege<br />

wieder geweckt wurden. ,,Sie fürchtet auch immer Darmkrebs zu<br />

bekommen, an dem ihre Mutter gestorben war, und wendete alle<br />

mög-<br />

^) Vgl. S. Freud, „Charakter und Analerotik'' in der „Sammlung kleiner<br />

Schriften zur Neurosenlehre", 2. Folge, 1909, Seite 132.<br />

2) Zu diesen Sj-mptomen sowie den nachfolgenden vergleiche meinen Aufsatz<br />

„Analerotik und Analcharakter", „Die Heilkunde", Februar 1910.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!