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Zweiter Bericht der Staatsregierung zur sozialen Lage in Bayern ...

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Situationsanalyse: 10. Teilhabe von Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />

10 TEILHABE VON MENSCHEN MIT<br />

BEHINDERUNG<br />

Situationsanalyse von: Michael Behl<strong>in</strong>g, Peter Guggemos,<br />

AIP Augsburg Integration Plus GmbH<br />

10.1 E<strong>in</strong>führung<br />

Das vorliegende Kapitel befasst sich mit den Teilhabemöglichkeiten<br />

von Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung 1 . Grundlage<br />

dieses Kapitels ist die Def<strong>in</strong>ition des § 2 Abs. 1 Satz<br />

1 SGB IX. 2<br />

Die folgenden Darstellungen beziehen sich hauptsächlich<br />

auf Menschen mit amtlich festgestellter Schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung,<br />

also e<strong>in</strong>em Grad <strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung (GdB)<br />

von 50 o<strong>der</strong> mehr. Hier geht <strong>der</strong> Gesetzgeber davon<br />

aus, dass <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Menschen mit e<strong>in</strong>er Sch wer -<br />

be h<strong>in</strong> <strong>der</strong>ung <strong>in</strong> ihren Möglichkeiten e<strong>in</strong>er gleichberechtig<br />

ten Teilhabe am <strong>sozialen</strong> Leben bee<strong>in</strong>trächtigt s<strong>in</strong>d.<br />

Ausdruck hierfür ist u. a. Teil 2 (§§ 68-160) des SGB IX,<br />

<strong>der</strong> die beson<strong>der</strong>e Unterstützung im Falle e<strong>in</strong>er Schwer -<br />

beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung regelt.<br />

Nachstehend werden e<strong>in</strong>leitend zwei Bereiche diskutiert:<br />

Zunächst sollen e<strong>in</strong>ige grundsätzliche Überlegungen <strong>in</strong>s<br />

Thema „Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung“ e<strong>in</strong>führen. Anschließend<br />

wird die Problematik <strong>der</strong> Datenlage zum<br />

Thema erläutert.<br />

10.1.1 H<strong>in</strong>führung <strong>zur</strong> Lebenslage beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ter<br />

Menschen<br />

E<strong>in</strong> erster Diskurs kreist um die Frage, ob Menschen mit<br />

Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden.<br />

Werden Menschen ohne ihre gesellschaftlichen Bezüge<br />

betrachtet, so ersche<strong>in</strong>t Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung als e<strong>in</strong> personenbezogenes<br />

Merkmal, das entsprechend <strong>in</strong>ternationaler<br />

Klassifikationen 3 diagnostiziert und statistisch erhoben<br />

werden kann. Diese Betrachtung ist defizitorientiert, sagt<br />

folglich nur etwas darüber aus, was jemand nicht kann,<br />

aber nichts über die Ressourcen dieser Person, und auch<br />

nichts darüber, was e<strong>in</strong>e bestimmte Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung für das<br />

konkrete Leben e<strong>in</strong>er bestimmten Person bedeutet.<br />

Aus je<strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung ergeben sich bestimmte Er for <strong>der</strong>nisse,<br />

die erfüllt werden müssen, damit die jeweilige<br />

Person im Worts<strong>in</strong>n ungeh<strong>in</strong><strong>der</strong>t ihren Verrichtungen<br />

nachgehen kann. Hieraus resultiert, dass jemand nicht<br />

durch gesundheitliche Gebrechen e<strong>in</strong>geschränkt wird,<br />

son<strong>der</strong>n z. B. durch bauliche Hürden 4 o<strong>der</strong> schlicht durch<br />

Schranken im Kopf <strong>der</strong> Nichtbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten, die sich u. U.<br />

zuwenig um die Folgen ihrer Handlungen für Menschen<br />

mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung kümmern. Der an Ressourcen orientierte<br />

Blick nimmt folglich wahr, dass es hier e<strong>in</strong>en Pool<br />

von Menschen gibt, die gerne ihre Fähigkeiten und Po -<br />

tentiale gesellschaftlich e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen möchten, was<br />

auch <strong>der</strong> nicht beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten Gesellschaft gut tut: Sie<br />

erhält Leistungsbeiträge und zusätzliche Lerngelegenheiten.<br />

Diese Normalität im Umgang mit Menschen mit<br />

Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung, <strong>der</strong>en selbstverständliches Dazugehören,<br />

Arbeiten, Partner und Familie haben 5 löst im Idealfall<br />

neue Lernchancen und das Mitdenken <strong>der</strong>en Belange<br />

aus, und verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t dadurch gedankenlose Ausgrenzung.<br />

Der angloamerikanische Begriff „vulnerable<br />

groups“, <strong>in</strong> etwa zu übersetzen als „verletzbare Gruppen“,<br />

drückt aus, dass alle Arten von Verän<strong>der</strong>ungen für<br />

Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung oftmals gravieren<strong>der</strong>e Auswirkungen<br />

haben als für an<strong>der</strong>e Gruppen. Beispiele<br />

hierfür s<strong>in</strong>d leicht zu f<strong>in</strong>den: Der Aufzug, <strong>der</strong> im Brandfall<br />

nicht benutzbar ist, kann für den Gehbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten<br />

<strong>zur</strong> tödlichen Falle werden. Die kle<strong>in</strong>e Baustelle kann<br />

den üblichen Arbeitsweg e<strong>in</strong>er Person mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />

stark bee<strong>in</strong>trächtigen. Im Idealfall müsste folglich bei<br />

allen Handlungen zugleich e<strong>in</strong>e Folgenabschätzung für<br />

Menschen mit unterschiedlichen Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen vorgenommen<br />

werden, mit entsprechenden Überlegungen zu<br />

erfor<strong>der</strong>lichen Kompensationen.<br />

E<strong>in</strong>e zweite Perspektive stellt gesellschaftliche Rollenmuster<br />

und Normalitätsstandards auf den Prüfstand.<br />

Hierbei geraten kulturelle Normalitätsvorstellungen <strong>in</strong><br />

den Blick, die def<strong>in</strong>ieren, was als normal und was als<br />

abweichend gilt. Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung müssen<br />

1<br />

Als Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung werden im Folgenden alle Menschen mit amtlich festgestellter Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung verstanden. Auf Schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen wird <strong>in</strong> jedem<br />

Fall explizit h<strong>in</strong>gewiesen.<br />

2<br />

„Menschen s<strong>in</strong>d beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit o<strong>der</strong> seelische Gesundheit mit hoher Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit länger als sechs Monate<br />

von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft bee<strong>in</strong>trächtigt ist.“<br />

3<br />

Zu <strong>in</strong>ternationalen Klassifikationen, etwa <strong>der</strong> WHO, vgl. den Brok 2007: 140ff.<br />

4<br />

Baunormen def<strong>in</strong>ieren bauliche Gegebenheiten wie Türbreiten und Türschwellen, die wie<strong>der</strong>um unüberw<strong>in</strong>dliche H<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse für Rollstuhlfahrer bzw. gehbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te<br />

Menschen darstellen können.<br />

5<br />

Den Brok (2007: 145) spricht von „<strong>in</strong>stitutionellem Validismus“ als Ausgrenzungsmechanismus, <strong>der</strong> dazu führen kann, dass Menschen mit Handicap die genannten<br />

Lebensbereiche vorenthalten werden.<br />

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