Heute vor fünf Jahren fielen die Schüsse im Gutenberg-Gymnasium 26.04.2007 Heute vor fünf Jahren fielen die Schüsse im Gutenberg-Gymnasium 26.04.2007 26.04.2007 Heute vor fünf Jahren fielen die Schüsse im Gutenberg-Gymnasium Clueso: „Lehrer müsste anderen Stellenwert in der Gesellschaft bekommen“ Heute ist es genau fünf Jahre her, dass am Erfurter Gutenberg-Gymnasium Schüsse fielen. Damals starben 16 Menschen im Feuer eines Ex-Schülers, der sich schließlich selbst richtete. Neben Video-und Computerspielen werden seit einiger Zeit auch immer wieder Gewalt verherrlichende Rap-Texte als Ursache für Aggressivität unter Jugendlichen gesehen. Ronny Ritze sprach über dieses Thema mit dem Erfurter Sänger und Texter Clueso. Fördern Texte wie die von „Aggro Berlin“ tatsächlich die Gewalt unter den Jugendlichen? Clueso: Es gibt Idioten, und die gab es schon immer und überall. Ich glaube nicht, dass die ausschließlich in der Rapmusik zu finden sind und dass Rapmusik daran Schuld ist, wenn einer mit seiner Dorfclique rum zieht und so lange rummotzt, bis es Stress gibt. Ich glaube auch nicht, dass Computerspiele daran Schuld sind, dass jemand los rennt und Leute erschießt. Da gehört eine ganz andere Ursachenforschung dazu. Es könnte eher daran liegen, dass das Individuum nicht mehr gefördert wird. Ich finde diese Schulfabriken viel schlimmer, weil man dort als Individuum verkannt wird und der Lehrer das Feindbild ist. Der Lehrer müsste einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft bekommen. Es gibt weder Anwälte, die sich für Lehrer einsetzen, noch werden sie gut bezahlt, noch in der Gesellschaft angesehen. Das liegt aber auch an vielen Pädagogen, die ausgebildet und dann in die Schulen reingesetzt werden und dann versuchen, ihren blöden Stoff zu vermitteln in einem Schulsystem, wo sie ihren eigenen Mund nicht aufmachen dürfen. Ist also die Schule ansich ein Gewaltsystem? Clueso: Nein, eher ein Gewollt-system. Es ist viel Gewolltes dabei, aber wenig Leben. Es gibt Leute, die ihr Leben lang nach irgendwas suchen, worin sie sich verlieren können. Das ist aber Quatsch. Es geht gar nicht darum, glücklich zu sein, sondern darum, für sich selbst irgendwas zu finden, was man als Berufung bezeichnen kann. Und das wird einem in der Schule nicht beigebracht. Es wird einem auch nicht beigebracht, dass man nie der Beste sein muss. Vielleicht bereitet man nur den Weg für jemand anderen vor. Man muss nicht immer Chef sein, man kann auch Arbeiter sein und darin seine Berufung finden. Doch genau das wird nicht gefördert. Es geht nur um eine Gleichschaltung. Um die Schutzbefohlenen wird sich nicht gekümmert. Und das ist wie ein Deckel auf dem kochenden Topf, der irgendwann auch explodiert. Ob das auch ein Grund für die Erfurter Schüsse war? Clueso: Man weiß es nicht. Es gibt Freaks, bei denen eine Sicherung durchbrennt, die die Realität nicht auf dem Schirm haben. Die Leben in ihrer eigenen Welt. Und da keiner Zugang gefunden hat, weiß man nicht, welche Gedankengänge so etwas auslösen. Aber das kommt meistens von ganz unten. Die Gesellschaft bringt einen dazu... Clueso: Na klar. Es ist doch heute billiger, eine Ecstasy zu bekommen, als ins Kino zu gehen, um irgend einen Film zu fahren oder irgendwas zu erleben. Für die Jugend gibt es keine Angebote. Und dann sollst du noch individuell entdeckt werden! Deshalb ziehen sich ja so viele auf My Space aus und machen sich transparent, um nur eine Sekunde Ruhm abzubekommen. An Bushido und Co. liegt es also deiner Meinung nach definitiv nicht, wenn Leute den Bezug zur Realität verlieren? Clueso: Nein. Ich finde es an manchen Ecken sogar lustig, was er macht. Man denkt nicht, dass jeder Jugendliche, der diese Texte hört, die auch für bare Münze nimmt. Es gibt auch viele 15-Jährige, die auch darüber lachen können, weil es einfach bekloppt ist, wenn ich Nutten von einem Hubschrauber aus suche oder so. Ich kann die Aggro-Leute ja auch ein bisschen verstehen, die wollen einfach nur Anti sein und sich abkapseln. Ich denke nicht, dass Leute gewalttätiger werden, wenn sie gewalttätige Texte hören. Du meinst also, Jugendliche können klar zwischen der Show und der Realität unterscheiden? Clueso: Es ist schade, wenn 14-Jährige unterwegs sind und ihre Freundin eine Schlampe nennen, weil sie den Unterschied nicht mehr erkennen. Haben deine Lieder eine politische Aussage? Clueso: Ich beschäftige mich nicht mit Politik. – Aber ich setze mit meinen Songs im Kleinen an und mache damit schon Politik. Wenn ich sage „Love the People“, meine ich das auch so. Es gibt einfach wenige Politiker, die wirklich auch etwas aussagen. Als HipHop noch in den Kinderschuhen steckte, waren die Forderungen klar. In den 90-ern ging es bei Bands wie „Blumentopf“ oder den „Fantas“ um Spaß. Und dann dieser radikale Stilbruch mit den Sprüchen und Ansagen von Leuten wie Bushido und Sido... Clueso: ...da empfinde ich die ersten Gehversuche von Eko Fresh und den Aggro-Leute nicht weniger als Spaßgesellschaft. Die Fantas und Blumentopf haben über Jahre Texte gebracht, die gesellschaftskritisch waren. Das ist einfach ein anderes Lager. Die Fantas kommen halt aus dem Mittelstand und ein paar von den anderen Kollegen kommen wirklich aus finsteren Gegenden in Berlin. Aber das ist auch nicht automatisch die Totschlagsgrenze. Aus dem HipHop kommt einfach das Übertreiben. Es steckt trotz der Gewalt auch oft Poesie dahinter. Man muss ja erstmal darauf kommen, solche Texte zu reimen. Aber das gab es schon immer in der Geschichte. Ein Dichter, der etwas beschreibt, versucht ja die krasseste Möglichkeit zu finden, um ein Gefühl auszulösen. Und da kommt eben: „Ich fick deine Mutter und schieß dich in den Kopf“ und das heißt aber: „Du bist ein Nussi und ich weiß, wie ich meinen Weg gehe“. – Deshalb darf man das auch nicht so ernst nehmen. Momentan ist es einfach was Neues . In fünf Jahren wird es die Sparte Hardcore-Rap geben und dann ist es nur ein Schubfach. Letztendlich packt der HipHop gerne seinen Schwanz aus, aber der Country und der Schlager verdienen trotzdem viermal so viel Kohle. Und die Volksmusiker gehen doch auch gangstermäßig ab. Da ist noch mehr Verarsche dabei, als man im ersten Augenblick denkt. Eine Frage zu deiner Selbsteinschätzung: Hören Gymnasiasten eher Clueso und die Hauptschüler eher Aggro Berlin? Clueso: Nein. Zum Glück finden mich nicht so viele Aggro-Typen schwul, dass einer eine rein bekommt, wenn er Clueso hört. Doch mein Publikum ist einfach nur smooth. Es gibt immer ein paar krasse Teenies, die mich auf eine andere Art fragen, ob sie ein Autogramm bekommen. Der Großteil ist aber höflich. Da wirst du auch nie eine Schlägerei sehen. Die Leute, die gerne knobeln und aus den Texten was raushören möchten, hören mehr Clueso. Es gibt aber auch Knackis, die mich hören. Ich selber war ja auch Hauptschüler. Ich dachte, da gibt es ein Abi mit Sternchen. Immerhin sind deine Texte – beispielsweise auf dem Album „Gute Musik“ – ja schon sehr anspruchsvoll. Was ist dem Schüler Clueso passiert? Clueso: Na, das Schulsystem, das mit mir nicht klar kam. Ich fand das Leben spannender, als die bekloppte Schule. Als Kind hat man einfach keine Ahnung, dass man Talent hat. Man ist einfach nur auffällig. Ich habe auch Wolfenstein gespielt. Aber aus dem Grund, weil ich keine andere Möglichkeit hatte, meine Aggressionen raus zu lassen – weder zu Hause noch in der Schule. Man hängt aber die meiste Zeit dort ab. Da läuft irgendwas schief. Ich kenne Leute, die haben studiert und müssen hinterher zum Psychiater, weil sie nichts mit sich anzufangen wissen und ihre Jugend nie ausleben konnten. Und sich mit 35 auf ein Skateboard zu stellen, sieht auch doof aus. In der Schule hast du aber keine Zeit, dass auszuleben. Wie könnte man die Schule der Zukunft gestalten? Clueso: Es sollte eine Art Scouts für Schüler geben, die schauen, wo Talente stecken. Wenn man die Zukunft ändern will, müsste man so eine Art Weisenrat schaffen, der Lebenslehrer ausbildet und nicht irgendwelche Pädagogen, die selbst nach drei Jahren eine Meise haben. http://lev-thueringen.de/spiegel/20070516195528/20070502065354/index.html [16.05.2007 22:33:59]
Es klingt so einfach 26.04.2007 Es klingt so einfach 26.04.2007 26.04.2007 KLARTEXT Es klingt so einfach VON DIANA UNKART Es war der Ort der Erniedrigung, an den Robert Steinhäuser, 19 Jahre alt, an jenem 26. April 2002 zurückkehrte. Es war seine Schule, das Gutenberg-Gymnasium nahe der Erfurter Altstadt, die er aufsuchte und von der er ein halbes Jahr vorher geflogen war. Es war der Tag der letzten Abiturprüfung. Er hätte dort sitzen sollen. Er geht an diesem Tag in die Schule, zieht sich eine Sturmmaske über den Kopf und erschießt 16 Menschen, anschließend sich selbst. Der Zustand nach dem Amoklauf von Erfurt ist mit dem Wort Schock unzureichend beschrieben. Es war ein Zustand der Erstarrung, der Ungläubigkeit, der Angst und der tiefen Trauer. Ihm folgte unmittelbar Aktionismus. Im Bundestag, in den Landtagen wurde über Schulgesetze, über Betreuungsmöglichkeiten für Schüler und über das Waffengesetz diskutiert. Das Thüringer Schulgesetz wurde nach dem Amoklauf von Erfurt geändert, das Waffengesetz überarbeitet – ansonsten blieb alles beim Alten. „Es hätte nur jemand mit mir reden müssen“, hat ein amerikanischer Schüler, ein Amokschütze, auf die Frage geantwortet, was hätte passieren müssen, um seine Tat zu verhindern. Es kling so einfach. Dass der Thüringer evangelische Landesbischof Christoph Kähler, dass Politiker und Lehrer heute mehr Betreuung für Schüler, gerade für die Schwachen, fordern, weil die Angebote keinesfalls ausreichend und die Risiken, in der Schule zu scheitern, nicht geringer geworden sind, zeigt, dass man die Lehren, die aus diesem tragischen Ereignis zu ziehen gewesen wären, nicht gezogen hat. http://lev-thueringen.de/spiegel/20070516195528/20070502065439/index.html [16.05.2007 22:34:00]