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Berliner Schulkrise: Eiskalt erwischt vom Babyboom - SchulSPIEGEL - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten 27. April 2007<br />

Berliner Schulkrise: Eiskalt erwischt vom Babyboom - SchulSPIEGEL - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten<br />

27. April 2007<br />

27. April 2007<br />

BERLINER SCHULKRISE<br />

Eiskalt erwischt vom Babyboom<br />

Von Christian Füller<br />

Prenzlauer Berg ist der Berliner Szenebezirk für Vielgebärende und meldet tägliche<br />

Kinderwagen-Staus. Alle wissen das - nur die Schulbehörde schnarcht. Wegen des<br />

Schüleransturms kommen jetzt sogar Erstklässler-Plätze in die Lostrommel. "Pure<br />

Schlamperei", zürnen Eltern.<br />

Kinder, Kinder: Der Prenzlauer Berg ist die Zentrale der Gebärfreude<br />

Sonst sieht man rund um das Kollwitzdenkmal entzückte Touristen, die den Baby-Boom<br />

bestaunen. Oder Soziologen, die am Rande zweier völlig überfüllter Spielplätze zu ergründen<br />

trachten, warum hier Ost und West so fruchtbar der demografischen Krise trotzen. Rosiger<br />

Alltag in Berlin-Prenzlauer Berg, dem kinderreichsten Bezirk Deutschlands.<br />

Am späten Mittwochnachmittag war alles anders: Megafone, Mütter und Väter mit rotem<br />

Kopf, selbstgemalte Pappschildchen gegen die Schulkrise. "Wir protestieren gegen die<br />

Schlamperei der Schulverwaltung und des Bezirksamtes", röhrt ein Elternsprecher durch die<br />

Lautsprecher. Dann zieht ein Tross von 100 empörten Eltern samt Nachwuchs und<br />

Journalisten im Schlepptau Richtung Lokalparlament.<br />

Prenzlberg-Kinder: Schulbeginn mit Erstklässler-Verlosung<br />

Im Berliner Szenebezirk für vielgebärende Thirtysomethings ist seit einer Woche die Hölle<br />

los. Mehrere Schulen haben überzählige Kinder kurzerhand aus ihren Schulen herausgelost.<br />

Über 100 künftige Erstklässler hat es erwischt - egal, ob sie Geschwister in den Schulen<br />

haben oder ihre Eltern gleich nebenan wohnen. Sie sollen nun in Schulen jenseits großer<br />

Hauptverkehrsadern verfrachtet werden. Das machen die Eltern nicht mit. Sie klagen gegen<br />

das Losverfahren, das im Berliner Schulgesetz für diesen Fall gar nicht vorgesehen ist.<br />

"Ich habe zwei Kinder in der Thomas-Mann-Schule", sagt Gisela Schmitt in die Mikrofone.<br />

"Meine Kleinste soll nun in eine weit entfernte Schule. Wie soll ich das als alleinerziehende<br />

Mutter organisieren?", fragt sie und verteilt Handzettel. Auch Anke Seidel, gleichfalls eine<br />

betroffene Mutter, ist wütend. Sie schlägt vor, statt der 27 Kinder pro Klasse vier Schüler<br />

mehr aufzunehmen und "notfalls eine Extraklasse aufzumachen".<br />

Fertiler Prenzlberg, vom Kamerateams belagert<br />

Damit freilich lässt sich allenfalls die akute Notlage im Prenzlberg beenden. Zum<br />

Schuljahresbeginn in vier Monaten fehlt de facto eine ganze Grundschule. Ab 2008 kommt<br />

dann jedes Jahr eine fehlende Grundschule hinzu - denn die Erstklässlerzahlen schießen<br />

durch die Decke. Im Gebiet rund um den Touristen- und Kinderwagenmagnet Kollwitzplatz<br />

verdoppelt sich die Zahl der ABC-Schützen bis 2012. Und im Einzugsbereich der<br />

Vorzeigegrundschule "Thomas Mann" etwas nördlich steigt die Zahl der Schulanfänger von<br />

heute 413 auf 672. Die Folge: Aus Grundschulen werden Sardinenbüchsen, ohne die<br />

vielgeschmähten Bustransfers in andere Kieze wird sich die Schulkrise nicht lösen lassen.<br />

Wie die Behörden den Schülerboom in der Kinderstube Berlins übersehen konnten, ist allen<br />

Beteiligten ein Rätsel. "Warum haben die Ämter das nicht gewusst?", ärgert sich Kletke<br />

Möckelmann und zeigt den Umstehenden die steilen Ausschläge auf den amtlichen<br />

Schülerstatistiken des Bezirks.<br />

Der ist praktisch ein riesiger Kreißsaal. Seit fünf Jahren belagern Kamerateams die<br />

Spielplätze am Kollwitzplatz, um der Nation zu zeigen, wie der demografische Kollaps zu<br />

überwinden ist. Und irgendwann wird die Generation Buggy eben flügge und schulpflichtig.<br />

Keine große Überraschung - außer für die Schulverwalter. Vor wenigen Jahren haben sie<br />

sogar noch zwei Grundschulen im Bezirk geschlossen.<br />

"In Berlin sind für diese Planungen die Bezirke zuständig", sagt ein Sprecher von<br />

Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD). Und auf Nachfragen räumt er ein: "Wir haben eine<br />

Planung des Bezirks, die nicht gut gelaufen ist."<br />

Zusätzliche Plätze? Och nö<br />

Die zuständige Schulstadträtin hat eine eher entspannte Haltung zur Schulkrise. Lioba Zürn-<br />

Kasztantowicz (SPD) sieht sich zwar mit einem Problem konfrontiert, "das mich nicht kalt<br />

lässt" - aber das bedeute keinen sofortigen Handlungsbedarf. "Es ist nicht gerechtfertigt,<br />

jetzt schon zusätzliche Plätze zur Verfügung zu stellen", sagte sie SPIEGEL ONLINE. Es<br />

reiche, wenn spätestens in zwei Jahren eine neue Grundschule am Prenzlberg entstehe.<br />

Mieke Senftleben, bildungspolitische Sprecherin der Landes-FDP, findet dazu deutliche<br />

Worte: "Das ist eine Riesenschlamperei. Wir haben immer wieder gemahnt, im Prenzlauer<br />

Berg vorzusorgen." Senftlebens Urteil: "Der amtierende Senat hat zum wiederholten Male<br />

bewiesen, dass er nicht in der Lage ist, eine adäquate Unterrichtsversorgung für alle Kinder<br />

Berlins zu gewährleisten."<br />

Dafür ist es nun wahrscheinlich zu spät. Der Berliner Senat könnte gar nicht schnell genug<br />

Schulen bauen, um den vielen kleinen Prenzlbergern gute Bildungschancen anzubieten.<br />

Nach der Rütli-Krise im Problemkiez Neukölln versagt Berlin auch bei den<br />

Mittelschichtsschulen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) glänzt derweil<br />

mit rhetorischen Offensiven: Es gelte "eine riesige Bildungsreserve zu heben", sagte er bei<br />

einem Festvortrag über die alternde Hauptstadt - durch bessere Lernchancen.<br />

Das finden die Eltern auch und gehen dafür auf die Straße. "Es gibt derzeit zwei große<br />

Themen in diesem Land: 'Kinder sind Zukunft' und den Pisaschock", sagt Ulrike Bock, eine<br />

verbitterte Anwohnerin und Mutter zweier Töchter. "Aber eine der besten Lagen Berlins hat<br />

nicht einmal genug Schulen für die Kinder."<br />

http://lev-thueringen.de/spiegel/20070516195528/20070502072028/index.html [16.05.2007 22:35:49]

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