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Die falschen Bücher<br />

Die falschen Bücher<br />

Die falschen Bücher<br />

Das Lesen von Büchern - so besagen Studien - steht bei Kindern heute höher im Kurs als zu<br />

Beginn dieses Jahrzehnts. Doch zugleich hat sich die Zahl derer verdoppelt, die gar nicht<br />

lesen. Das liege daran, dass Kindern in der Schule die falsche Literatur angeboten wird,<br />

kritisiert die Erfurter Literaturprofessorin Karin RICHTER.<br />

Endlich lesen sie wieder - sagen Lehrer und Eltern, seit Harry Potter die<br />

Kinderzimmer eroberte. Was ist da passiert?<br />

Zauberlehrling Harry Potter hat nicht nur viele Kinder begeistert, sondern auch Erwachsenen<br />

eine Lektion erteilt: dass Abenteuer, Spannendes, Fantastisches, Geheimnisse bis heute die<br />

Kinder fesseln. Es sind die Grundbausteine auch vieler Märchen, Sagen, Mythen - die gibt es<br />

eben auch in Hogwarts. Darum lesen Kinder wieder.<br />

Und sie haben sich durch dicke Wälzer gekämpft, mittlerweile durch sechs Bände<br />

. . .<br />

Das ist die zweite Erkennt- nis: Dass man eine gewisse Quantität benötigt, richtig lange<br />

Geschichten in kom- pakten Büchern. Nur so kann man in eine literari- sche Welt<br />

eintauchen, Gestal- ten kennenlernen, mit ihnen fiebern. Bis dahin war man in der<br />

Pädagogik ja der Ansicht: nur keine langen Texte, um die Kleinen nicht zu übermüden,<br />

Lesekünste nicht zu sehr strapazieren. Dabei wollen viele lesen. Leider geht aber die Schere<br />

auseinander, es gibt neben der größeren Anzahl von lesenden Kindern immer mehr, die es<br />

gar nicht tun.<br />

Das muss Ursachen haben.<br />

Wir haben 2001 eine Studie mit 1200 Thüringer Grundschülern gemacht. Die Ergebnisse<br />

alarmierten: Ab 2. Klasse sank das Interesse der Kinder am Lesen kontinuierlich, vor allem<br />

bei Jungen. Mehr als die Hälfte las in der 2. Klasse gern, in der 4. Klasse waren es noch 28<br />

Prozent. Bei Mädchen sank die Quote von etwa zwei Dritteln der Gern-Leser in Klasse 2 auf<br />

40 Prozent in Klasse 4.<br />

Was verleidet das Lesen?<br />

Ich bin überzeugt, dass die Literatur-Auswahl speziell in der Grundschule einseitig und<br />

einfallslos erfolgt. Die von uns damals erfasste Textauswahl zeigte, dass sie weniger mit<br />

literarischer Qualität als von pädagogischer Verwertbarkeit bestimmt war. Von 89<br />

behandelten Büchern waren zum Beispiel 43 mit "wahren Geschichten", 14 mit<br />

Abenteuerliteratur und 15 Märchen. Nun mag die Geschichte "Die Kopftuchklasse", in der es<br />

um die Freundschaft mit einem türkischen Mädchen geht, pädagogisch wertvoll sein. Nur -<br />

Kinder animiert das nicht zum Lesen. Übrigens, befragt man Lehrer nach ihren literarischen<br />

Vorlieben, nennen sie auch Abenteuer, Reiseliteratur.<br />

Seit dies damals festgestellt wurde, ist eine gute Weile vergangen. Hat sich<br />

etwas getan?<br />

In der Breite zu wenig, trotz guter Beispiele. Denn es gibt noch ein Phänomen. Nachdem der<br />

Pisa-Test bemängelte, dass Schüler Sachaufgaben oft nicht verstehen, trainiert die Schule<br />

die Sparte "Text-Verständnis" teils im Übermaß. Das Literarische bleibt oft auf der Strecke.<br />

So wird Lesen aber nichts Schönes. Es ist einfach lästig.<br />

Was wäre der Ausweg? Sollte man Lehrern eine Bücher-Empfehlungsliste geben?<br />

Sie kennen wirklich zu wenig anspruchsvolle und attraktive Kinderliteratur. Und sie wissen<br />

leider auch oft nicht, wie sie´s vermitteln sollen. In der Fortbildung fehlt es in Thüringen an<br />

Kontinuität. Wir haben an unserem Institut eine Reihe von Modellen und dazu passendes<br />

Material entwickelt. Daran haben zum Beispiel Bundesländer wie das Saarland, Schleswig-<br />

Holstein, Hessen oder Sachsen mehr Interesse als Thüringen.<br />

Vielleicht brauchten Lehrer die ganz konkrete Anleitung?<br />

Mag sein, sie trauen sich oft nicht, Mythisches, Spannendes anzubieten. Unlängst gab es an<br />

der Grundschule Walschleben eine Projektwoche mit Studenten zu E.T.A. Hoffmanns<br />

"Nussknacker und Mausekönig" und zur griechischen Mythologie, zum Trojanischen Krieg<br />

und den Reisen des Odysseus.<br />

Das ist ziemlich kühn, mit Kindern unter zehn Jahren.<br />

Man muss wissen, wie. Die Kinder verstehen genau, worum es geht. Wir haben nicht nur<br />

gelesen, sondern Szenen nachgespielt, Bilder betrachtet, viel diskutiert - über die Mutter von<br />

Achill, die ihren Sohn nicht in den Krieg ziehen lassen wollte; oder über Paris und die Frage,<br />

wer den Apfel verdient hat. Am Schluss haben alle Kinder gesagt, es hätte ihnen gefallen,<br />

und ein Junge hat ergänzt: Das Schönste sei gewesen, dass die ganze Woche kein<br />

Deutschunterricht war . . .<br />

Es gibt viel Streit um die alten Kinderbücher mit Alfons Zitterbacke, Pony Pedro,<br />

der Schwalbenchristine. Soll man sie Kindern heute noch geben?<br />

Verstehen kann ich die Kritik nicht. Gewiss spielen bei Eltern und Großeltern, die diese<br />

Bücher lieben, auch Kindheitserinnerungen und Nostalgie eine Rolle. Manches werden Kinder<br />

von heute etwa beim Zitterbacke auch kaum noch verstehen. Anderes ist weiter wertvoll.<br />

Woran denken Sie da?<br />

Pony Pedro ist und bleibt eine wunderbare Naturbetrachtung. Klaus Ensikat ist mit seinen<br />

Büchern bis heute ein international angesehener Illustrator. Peter Hacks hat viel für die<br />

fantastische Kinderliteratur getan und Kinder mögen die Meta Morfoß immer noch. Bücher<br />

wie "Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt" kann man immer noch gut vorlesen.<br />

Gespräch: A.REISER-FISCHER<br />

24.04.2007<br />

http://lev-thueringen.de/spiegel/20070516195528/20070425145701/index.html [16.05.2007 22:34:41]

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