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Lehrermangel Billige Ersatzlehrer - Job & Karriere - sueddeutsche.de 14.05.2007<br />

Lehrermangel Billige Ersatzlehrer - Job & Karriere - sueddeutsche.de 14.05.2007<br />

14.05.2007 08:06 Uhr<br />

Lehrermangel<br />

Billige Ersatzlehrer<br />

Quereinsteiger werden an den Schulen dringend gebraucht. Doch<br />

mit neuen Tarifverträgen schrecken die Bundesländer<br />

Interessenten ab. Es gibt bis zu 1300 Euro weniger im Monat.<br />

Von Alexandra Straush<br />

Erst umworben, dann<br />

verprellt: Manche<br />

Quereinsteiger, die auf den<br />

Lehrerberuf umschulen,<br />

bereuen ihre Entscheidung<br />

inzwischen.<br />

Foto: iStockphoto<br />

Burkhard Struwe hat mit 38 Jahren noch mal<br />

ein berufliches Experiment gewagt. Lange<br />

hatte der Maschinenbau-Ingenieur aus<br />

Arnsberg bei einem Zulieferer für<br />

mittelständische Betriebe gearbeitet, bis ihn<br />

die intensive Werbung des Landes Nordrhein-<br />

Westfalen auf den "Zukunftsberuf Lehrer"<br />

aufmerksam machte. Die Aussicht, nicht nur<br />

vor dem Computer zu sitzen und mehr mit<br />

Menschen zu tun zu haben, reizte ihn.<br />

Zwischen einem Gehalt nach<br />

Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) und<br />

der Bezahlung als Ingenieur in der Wirtschaft<br />

bestand kein großer Unterschied. Das gab für<br />

den Familienvater den Ausschlag. Nur die<br />

Durststrecke des Referendariats musste<br />

Struwe überbrücken - mit einem Nebenjob in<br />

seiner alten Firma, mit Hilfsarbeiten als<br />

Dachdecker und mit Erspartem.<br />

Kurz vor dem zweiten Staatsexamen fehlt<br />

ihm nun die rechte Motivation. Denn er weiß, dass sich die zwei Jahre<br />

zusätzliche Ausbildung finanziell nicht gelohnt haben. Er wird 600 Euro<br />

weniger in der Tasche haben als früher. Und vor allem 600 Euro weniger,<br />

als ihm bei der Einstellung in Aussicht gestellt wurde.<br />

Wie viele andere ist Burkhard Struwe in die Tariffalle getappt. Schuld sind<br />

sein Alter und der Tarifvertrag Länder (TV-L), der in allen Bundesländern<br />

außer Hessen und Berlin den alten BAT abgelöst hat. Die Crux an dem<br />

neuen System: Es honoriert in seinen Leistungsstufen nur die einschlägige<br />

Berufserfahrung, nicht das Lebensalter wie der BAT. Der Ingenieur jenseits<br />

der 35, der als Techniklehrer anheuert, bringt kein pädagogisches Vorleben<br />

mit, steht nach TV-L also deutlich schlechter da. Weil diese Entwicklung im<br />

Vorfeld nicht abzusehen war, fühlt Struwe sich betrogen.<br />

Lehrer in Nordrhein-Westfalen traf die Umstellung zum 1. November 2006<br />

besonders hart, weil das Land ein halbes Jahr vorher auch noch den<br />

Mangelfach-Erlass gekippt hatte. Lehramtsanwärter mit begehrten Fächern,<br />

die sich der Verbeamtung sicher wähnten, waren auf einmal zu alt dafür<br />

und rutschten stattdessen in den TV-L. Schulministerin Barbara Sommer<br />

sprach von 3000 Betroffenen, die bei ihrer Einstellung noch nichts von dem<br />

neuen Tarifvertrag ahnten und für die das Ministerium nun "in besonderer<br />

Weise verantwortlich sei".<br />

Auch in anderen Bundesländern geht es allen Neueinsteigern an den<br />

Geldbeutel, die sich mit Berufserfahrung, aber ohne Chance auf eine<br />

Beamtenstelle für den Schuldienst entschieden haben. Die "eine oder<br />

andere Unmutsäußerung" von Referendaren sei schon eingegangen,<br />

bestätigt Eveline Dziendziol, Sprecherin der Aufsichts- und<br />

Dienstleistungsdirektion (ADD), die in Rheinland-Pfalz für den<br />

Vorbereitungsdienst zuständig ist.<br />

Einer von denen, die sich ärgern, ist Andreas Keller (Name geändert).<br />

Bevor er auf den Lehrerberuf umsattelte, war er zwölf Jahre lang als<br />

Ingenieur im öffentlichen Dienst tätig. Er kannte sich in den BAT-Tabellen<br />

aus und ging davon aus, dass er nach dem Referendariat 3560 Euro brutto<br />

verdienen würde. Nach der Umstellung auf TV-L sind es 1300 Euro<br />

weniger. "Ich habe meinen Job mit Aussicht auf diese Bezahlung<br />

gekündigt. Sonst wäre ich doch in meinem alten Vertrag geblieben", ärgert<br />

sich der 43-jährige Familienvater. Unter dem Aspekt des<br />

Vertrauensschutzes empfindet er die Situation als Zumutung. "Stellen Sie<br />

sich vor, ich hätte ein Haus gebaut, dann wäre ich jetzt in meiner Existenz<br />

bedroht."<br />

Die ADD und das Bildungsministerium von Rheinland-Pfalz haben das<br />

Problem inzwischen erkannt: Ministerin Doris Ahnen hat die Weisung<br />

ausgegeben, bei Verträgen für Quereinsteiger Einkommenseinbußen im<br />

Vergleich zum BAT möglichst zu vermeiden. Das Dilemma wollen die<br />

Behörden mit einem Schlupfloch im Tarifvertrag lösen: Paragraph 16<br />

erlaubt, den Bewerber mit dem Argument des Fachkräftemangels in seiner<br />

Entgeltgruppe bis zu zwei Stufen höher einzugruppieren. "Das wird aber<br />

sicher nicht mit der Gießkanne verteilt", meint Dziendziol. Will sagen: Auf<br />

Verhandlungsgeschick und die Fächerkombination kommt es an.<br />

Keine Garantie<br />

Verhandeln hat auch zumindest einen Teil der Referendare in Nordrhein-<br />

Westfalen weitergebracht. Das Ministerium ließ sich auf einen Kompromiss<br />

ein: Alle Lehramtsanwärter, die zum Zeitpunkt der Umstellung am 30.<br />

Oktober 2006 im Vorbereitungsdienst waren, sollen Bestandsschutz<br />

erhalten. Als Bezahlung wurde ihnen mindestens das alte BAT-Niveau<br />

versprochen. Eine Randbedingung der Einigung jedoch lässt sie zittern: Die<br />

Zusage auf die Zukunft gilt nur für Kandidaten, die zwölf Monate nach<br />

Ende ihres Referendariats eine unbefristete Anstellung bekommen.<br />

Dummerweise sieht es gerade gar nicht gut aus mit Lehrer-Jobs. Burkhard<br />

Struwe hat für seine Fächerkombination Physik und Technik landesweit<br />

gerade mal vier Vakanzen ausgemacht. "Dabei hat man mir gesagt, deine<br />

Fächer sind eine Bank."<br />

Sein Zorn ist unbegründet, meint Gerd Möller, der beim Schulministerium in<br />

Düsseldorf für Statistik und Prognosen zuständig ist. Natürlich könne es<br />

vorkommen, dass in einem Jahr oder einer Region keine Anstellung<br />

möglich sei. "Aber wir suchen Lehrer und werben daher mit Recht. Wenn<br />

viele Seiteneinsteiger zuströmen, verschiebt sich natürlich die Basis der<br />

Prognose." Für die Betroffenen heißt das: Es gibt keine Jobgarantie. Das ist<br />

nach der Einführung des TV-L die zweite Kröte, die die Umsteiger<br />

schlucken müssen.<br />

Schlechte Aussichten<br />

Ironischerweise sind genau sie es, die im Schuldienst am dringendsten<br />

gebraucht werden. Denn gerade in Mangelfächern stehen nicht genügend<br />

Bewerber zur Verfügung, die direkt von der Universität kommen. Das<br />

Statistische Bundesamt erfasste im Wintersemester 2005/2006 bundesweit<br />

204 342 Lehramts-Studenten. Während sich auf die Massenfächer Deutsch<br />

und Englisch 45 000 beziehungsweise 25 000 Studierende stürzten, waren<br />

es in Physik gerade mal 1600. Noch spärlicher gesät ist der Nachwuchs,<br />

der direkt von der Uni an die Berufschule geht: Gerade mal 373<br />

Studierende sind bundesweit für das Fach Elektrotechnik auf Lehramt<br />

eingeschrieben, 637 für Metalltechnik.<br />

Das Schulministerium in Nordrhein-Westfalen führt keine Statistik darüber,<br />

wie viele Referendare vorher einen anderen Beruf ausgeübt haben. Fragt<br />

man in den Studienseminaren nach, hört man für die Fächer Physik,<br />

Mathematik und Technik Zahlen von mehr als 80 Prozent. Bei den<br />

momentan schlechten Aussichten im Schuldienst könnten die Referendare<br />

sich überlegen, wieder in den alten Beruf zurückzukehren. Eine weitere<br />

Alternative ist ein Wechsel in ein benachbartes Bundesland, in dem bessere<br />

Bedingungen herrschen. Davon unbeirrt wirbt das Land weiter auf Bildungs-<br />

und Abiturientenmessen für den "Zukunftsberuf Lehrer". Vielleicht gerade,<br />

weil es Bewerbern immer weniger zu bieten hat.<br />

(SZ vom 12.5.2007)<br />

http://lev-thueringen.de/spiegel/20070516195528/20070516195443/index.html [16.05.2007 22:35:32]

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