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Schleierhaft<br />

Schleierhaft<br />

Schleierhaft<br />

Es gibt sie gar nicht. Jedenfalls fast nicht, ist offiziell zu hören, wenn nach muslimischen<br />

Schülern in Thüringen gefragt wird. Aber es gibt sie. Schließlich leben muslimische Familien<br />

hier, haben Kinder und die gehen zur Schule. Auch für sie gibt es Schulpflicht. So ist das<br />

Gesetz. Doch für das Miteinander von Schülern und Lehrern gibt es wenig Hilfe.<br />

THÜRINGEN. Der erster Schultag nach den Ferien. Zum Unterricht in einer Erfurter<br />

Regelschule kommt eine 14-Jährige in Burka. Vom Scheitel bis zu den Füßen schwarz<br />

verhüllt. Nur die Augen sind zu sehen.<br />

Noch vor den Ferien saß sie in Pullover und Jeans in der Klasse. Nun das. Ihren Mitschülern<br />

kam sie binnen einer Woche völlig verändert vor und es war ihnen unheimlich, mit ihr nur<br />

durch den Sehschlitz zu sprechen. Den Lehrern auch. Die fragen sich, warum das aus einer<br />

türkischen Familie stammende Mädchen dies tut. Um zu provozieren? Ich lebe meinen<br />

Glauben, der Rest ist mir egal, soll sie geantwortet haben. Ratlos waren die Lehrer, wie sie<br />

je die Schülerin prüfen sollen - wenn sie gar nicht wissen, ob sie es überhaupt ist. Sie wissen<br />

vor allem nicht, wie sie reagieren sollen. Sport scheint für das Mädchen unmöglich, in dem<br />

Gewand. Und ist es überhaupt erlaubt? Das Kultusministerium erklärte, von dem Fall nichts<br />

zu wissen.<br />

Mag sein, dass so etwas bisher noch nie in Thüringen passiert ist. Fragt man beim Erfurter<br />

Schulamt nach, wie viele Schüler aus muslimischen Familien die Schulen der Stadt besuchen,<br />

wird geschätzt: "Es ist wohl nicht mal eine zweistellige Zahl." Doch allein an jener Schule<br />

betrifft dies acht Schüler, an der benachbarten Grundschule sind es sechs.<br />

Gewiss, bei einer Schulaufnahme muss niemand sagen, welchen Glauben er hat, auch<br />

ausländische Eltern nicht. Insgesamt besuchen in diesem Jahr 4235 ausländische und<br />

Aussiedlerkinder Thüringer Schulen. "Hochgerechnet nach Ländern, wo der Islam präsent<br />

ist, schätzen wir die Zahl der Schüler aus muslimischen Familien im Freistaat auf 300 bis<br />

400", heißt es aus dem Kultusministerium.<br />

Mit ihren Fragen jedoch bleiben Lehrer und Schüler meist allein, denn die religiöse<br />

Orientierung dieser Kinder bestimmt nicht nur ihr Leben daheim. Die Lehrer dieser Erfurter<br />

Regelschule kennen mittlerweile die ganze Palette der Probleme: Was ist, wenn sich eine<br />

Familie weigert, ihr Kind am Sportunterricht teilnehmen zu lassen? Am Schwimmen? Soll<br />

man es befreien, eine Sechs geben? Was ist mit Kopftüchern? Ein Kopftuchverbot gibt es in<br />

Thüringen nicht, weder für Lehrer noch für Schüler. Doch kann man drauf bestehen, dass es<br />

beim Sport abgenommen wird? "Es ist eine Unfallquelle, wenn Mädchen kopfüber am<br />

Stufenbarren hängen", sagen Lehrer. Und was sollen Lehrerinnen sagen, deren<br />

Anweisungen die jungen Männer oberer Klassen nicht befolgen, weil sie sich von Frauen<br />

nichts befehlen lassen?<br />

Der Ton wird rauer, beobachtet auch Schulleiterin Carolin Raufeisen. 40 ihrer 250 Schüler<br />

haben den sogenannten "Migrationshintergrund", acht sind aus muslimischen Familien. Die<br />

Kopftuchfrage wurde bei ihr per Hausordnung geklärt: Es ist erlaubt, Vermummung nicht.<br />

Um das Verhältnis zu diesen Eltern sei man sehr bemüht. Sie kümmerten sich um ihre<br />

Kinder, seien ordentliche Familien, sagt Frau Raufeisen. Doch mit den Problemen sind die<br />

Lehrer allein: Mädchen dürfen ohne den großen Bruder nicht mal in die Kaufhalle nebenan.<br />

Kinder bleiben wochenlang bei Verwandten, während die Eltern ihre Heimat besuchen. "An<br />

wen halten wir uns als Schule in dieser Zeit? Wie gehen wir mit den Kindern um, die in zwei<br />

Welten groß werden?"<br />

Eine Handreichung, Richtlinie, Hinweis, was zu tun ist, wünschen sich diese Schulen. Doch<br />

es gibt sie nicht. Auch nicht in Rheinland-Pfalz oder Hessen, wie TA-Nachfragen dort<br />

ergaben. In Bonn jedoch gab es vor einem Jahr einen vorübergehenden Schulverweis für<br />

zwei 17-Jährige, die mit Burka zum Unterricht gekommen waren. Nicht wegen des religiösen<br />

Symbols, hieß es, sondern weil sachgerechter Unterricht so nicht möglich war. Alles sei<br />

ausreichend in Gesetzen geregelt, heißt es aus dem Kultusministerium in Erfurt, man<br />

verweist auf das Grundgesetz. Für Schwimmen könne es in Ausnahmen eine Befreiung<br />

geben. Das Lehrerfortbildungsinstitut Thillm hat seit Januar erstmals einen Kurs im Angebot<br />

"Die muslimische Gesellschaft". Abgerufen wurde er bisher nicht, heißt es. Dabei wäre es<br />

höchste Zeit, sich mit dem Thema zu beschäftigen.<br />

Und so kämpfen die Schulen um den täglichen Kompromiss, ohne zu wissen, was richtig ist.<br />

Carolin Raufeisen baut jetzt den Stundenplan so, dass freitags halb eins die muslimischen<br />

Jungs der oberen Klassen zum Gebet in die Moschee gehen können ohne zu schwänzen.<br />

Aber ist das richtig so? Unter Schülern gibt es zunehmend Polarisierung. Jede Gruppe klagt<br />

Verständnis für sich ein. Lehrer versuchen zu vermitteln.<br />

Das Mädchen mit Burka wurde mit Eltern in die Schule bestellt. Die Mutter kam. Sie trug den<br />

Vollschleier nicht und sagte, sie fände das auch nicht gut. Kompromiss: Das Gesicht muss zu<br />

sehen sein. Problem gelöst? Das Mädchen nimmt am Sport weiter nicht teil. Note Sechs.<br />

Oder nicht? Oder wie?<br />

Keine Antwort.<br />

10.05.2007 Von Angelika REISER-FISCHER<br />

http://lev-thueringen.de/spiegel/20070516195528/20070511082557/index.html [16.05.2007 22:34:54]

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