Wieder Frühling Wieder Frühling Wieder Frühling Der April ist schon schlimm genug, und dann fallen wieder Schüsse, wieder tötet ein Amokläufer. Blacksburg, diesmal. Sie kann die Bilder nicht ertragen. Schüsse, Tote. Vor fünf Jahren war es Erfurt. Im Gutenberg-Gymnasium erschießt ein gescheiterter Schüler 16 Menschen, ehe er sich selbst richtet. Vor fünf Jahren hat Karin Lippe ihren Mann verloren, sie vermisst ihn sehr, nie wird sie vergessen, dass er so lange leiden musste und keiner half. ERFURT. Die Kammmolche sind groß in Form. Der Teich gefällt ihnen, sie finden nicht, dass er renoviert werden müsste. Karin Lippe denkt da ganz anders, die Algen, das Laub, ihr Mann hätte das längst erledigt, aber jetzt. Sie schaut auf den kleinen Gartenteich, zieht die Schultern hoch, ihr ist kalt, mitten im Sonnenschein, mitten in ihrem Garten und dem schönen neuen Haus. Manchmal kann sie den Anblick nicht ertragen, manchmal hasst sie den Frühling und all das Strahlen ringsum, dann wünscht sie sich weit weg in eine andere Welt und ihr altes Leben. Im Ferienlager haben sie sich kennengelernt. Beide sind Studenten, sie verdient sich ein bisschen Geld, Hans Lippe macht ein Praktikum als angehender Pädagoge. Er studiert in Halle, Biologie und Chemie, den Lehrer wollte er nicht unbedingt, aber ein reines Biologie- Studium hat er nicht bekommen, trotz dreier Jahre Armee und des Ärgers, den er nach der Wende damit hat. Lagerfeuer. Gitarre. Hans Lippe ist der Held. Wie er so im Feuerschein sitzt, ganz versunken in seine Musik, das ist einfach zum Verlieben. Und das ist auch am anderen Morgen noch so und viele Wochen und Jahre später. Dass sein Repertoire an Lagerfeuer-Lyrik einigermaßen begrenzt ist, stellt sich erst später heraus. Es stört sie nicht, sie liebt ihn. Sie liebt ihn mit seiner ewigen Raucherei und dem Fimmel für Schmetterlinge. Die Präparate hängen im Arbeitszimmer, keiner schaut sie mehr an, seine Bücher, all die naturwissenschaftlichen Zeitschriften, dafür ist er der Wende dankbar, dass seine Schule aufgelöst wird, verkraftet er nicht so gut. Sie müssen jetzt beide sehen, wie es weitergeht, wer zwei Kinder hat, kann nicht warten, bis einer den Traum-Job vorbeibringt. Die diplomierte Binnenhändlerin verkauft erst mal Ski- Bindungen im Sportgeschäft, ihr Mann schafft sich ein Lehrbuch der Friseurausbildung an, in Sömmerda unterrichtet Hans Lippe angehende Friseurinnen in Chemie. Keine schlechte Arbeit, wenn ich es mache, dann richtig. Sich durchschlängeln, abducken und erst die anderen kommen lassen, das kann er nicht leiden. Wer sich anstrengt, hat es gut in seinem Unterricht, wer sich interessiert und einen Fuchsschwanz von einem Tag- pfauenauge unterscheiden kann, hat es noch besser. Hans Lippe arbeitet inzwischen in der Erfurter Zooschule, Tiere ganz nah und Schüler, die auch nachmittags noch Zeit haben für den Panda-Club und den Naturteich mit den Molchen. So könnte es weitergehen bis zur Rente, aber die alte Zooschule wird abgewickelt, es tut ihm weh. Dass er nun eine Stelle im Gymnasium bekommt, schmeichelt ein bisschen, die Zooschule vermisst er lange. Es hat uns kein Glück gebracht, sagt Karin Lippe, wären wir doch nie nach Erfurt gegangen. Seine Eltern haben in Leipzig ein Häuschen, sie will trotzdem lieber nach Thüringen. Warum konnte es nicht Leipzig sein. Dann wäre das nicht passiert. Dann wäre Hans noch am Leben. Unsinn, ist alles Unsinn. Sie weiß das, und trotzdem kommen die Gedanken wieder, kleine Nadelstiche, immer schmerzhafter, wachsen sich aus und fressen den Himmel und alle Hoffnung. In diesem Jahr hätten sie silberne Hochzeit. Nicht weiter denken, nicht ausmalen, wie der Tag geworden wäre, es tut nur weh. Denk nicht dran, denk an die Kinder und deinen Beruf. Sie funktioniert, immer perfekt, gepflegt und kompetent. Musst du sein, sagt Karin Lippe, in einem großen Kaufhaus, da wollen die Kunden freundliche Gesichter sehen. Das ist ihr gutes Recht. Stärke aus Erinnerung, sie bauen ein Haus, überstehen seine Kündigung, als Vorwürfe aus Armeezeiten laut werden, feiern seine Wiedereinstellung, als sich deren Haltlosigkeit vor Gericht erweist. Sie fahren in die Ferien, streiten höchstens um den Anteil von Kultur und Natur, finden aber doch das gerechte Maß von Florenz und Karnischen Alpen. Manchmal sagen sie, es geht uns gut, unverschämt gut. In den Frühjahrsferien reisen sie nach Kuba, alle vier, das ist sehr teuer, aber sie haben gespart. Kuba ist schon immer sein großer Traum, das will ich sehen, ehe ich sterbe, sagt Hans Lippe und lacht. Dann sind die Ferien zu Ende. Hans Lippe gibt ein bisschen an mit seinen Kuba-Bildern, er wird sie den Kollegen unbedingt zeigen, fest versprochen im Raucherzimmer des Gutenberg-Gymnasiums. Er hat an diesem Freitag Biologie in der 10b, Raum 301. Es ist der 26. April. Der Täter feuert vier Schüsse ab und verletzt den Lehrer schwer. Ob er Hans Lippe gesucht hat, weiß keiner, nur, dass er ihn schon einmal bedrohte, angetrunken bei einer Klassenfahrt spielt er den großen Max, zielt mit dem Zeigefinger auf den Lehrer, peng, peng, jetzt bist du tot. Hans Lippe hat das damals sehr beschäftigt. Was sind das für Abgründe. Vier Schüsse im Leib. Hans Lippe fleht um Hilfe, schleppt sich über die Treppe, vorbei an verbarrikadierten Türen. Was muss ein Mann aushalten. Warum hilft ihm keiner, sie wird das nicht verstehen, und sie will es auch nicht. Unerträglich die Gedanken an seine Qualen, die Verlassenheit. So viele Menschen im Haus und niemand steht ihm bei. Wo sind die Retter. Vielleicht hätte er es ja geschafft. Unterlassene Hilfeleistung, sie lässt sich nicht davon abbringen. Hans Lippe lebt noch fast zwei Stunden, dann kommt Hilfe. Für ihn ist es zu spät. Er hätte die schweren Verletzungen ohnehin nicht überlebt, sagt man ihr später. Was für ein Hohn. Sie wird diese Bitterkeit nicht los. Tränen bringen keine Linderung, auch heute nicht. Frühling. Wieder ein Frühling ohne ihn. Hörst du das, die Stare sind da. Sie kennt keinen Menschen, der sich so darüber freuen kann. Die Lerche singt, für Hans Lippe gibt es nichts Besseres, höchstens, ein herrlicher Segelfalter verirrt sich in seine Nähe. Einmal wurden junge Turmfalken in der Zooschule abgegeben, die Eltern vergiftet, die Jungen hilflos. Er zieht sie mit der Hand groß und verteidigt sie gegen die kluge Theorie. Natürlich ist es besser, wenn die Turmfalken ihren Nachwuchs selbst aufziehen, aber wenn die Alten tot sind, soll man dann die Jungen auch umbringen. So ein Unsinn, sagt Hans Lippe. Respekt vor der Kreatur. Davon lässt er sich nicht abbringen. Leben ist so kostbar. Es gibt den Wunsch vieler Leser, die Erinnerung an das Leben der Opfer zu bewahren. Diese Zeitung betrachtet das als ihren Auftrag. Bisher erschienen: Unsichtbare Zeichen, Monika Burghardt, 8. Juni 2002. Kleine Schwester, Susann Hartung, 26. Oktober 2002. Liebe endet nicht, Hans-Joachim Schwertfeger, 26. April 2003. Was bleibt, Helmut Schwarzer, 26. April 2004. Sie fehlt so sehr, Yvonne-Sofia Fulsche-Baer, 26. April 2005. Aus vollen Zügen, Dr. Birgit Dettke, 26. April 2006. Verlorenes Lächeln, Heidemarie Sicker, 19. Juli 2006. Carla, meine Liebe, Carla Pott, 25. November 2006. 25.04.2007 Von Antje-Maria LOCHTHOFEN http://lev-thueringen.de/spiegel/20070516195528/20070426081942/index.html [16.05.2007 22:33:55]
Überraschungseffekt: Gegen Alkohol am Steuer Überraschungseffekt: Gegen Alkohol am Steuer Überraschungseffekt: Gegen Alkohol am Steuer MOSKAUER PLATZ. Derzeit stehen sie wieder im Blickpunkt der Öffentlichkeit: Jugendliche, die Alkohol in lebensbedrohlichen Dosen konsumieren, angetrunken womöglich auch noch Auto fahren. Die Polizei kontert mit Aufklärung vor Ort - wenn Diskothekenbetreiber sie einladen. "Ich will meine Gäste behalten, und nicht, dass sie im Straßengraben landen", meint Oliver Steinmüller einleuchtend. Sogenannte Flatrate-Partys, bei denen gegen eine Pauschale soviel getrunken werden kann, wie man will, gibt es in seiner Diskothek "Fun/Lollipop" nicht. "Die wird es auch nicht geben, solange ich hier Chef bin", ist Steinmüller entschieden. Einmal im Jahr hat der Disko-Betreiber die Polizei im Haus, auf eigenen Wunsch. Dann lädt er wie am Samstag zur "Promille-Party". Nicht, weil da besonders viel Alkohol im Spiel ist. Sondern weil jeder Gast einen Promille-Pass bekommt und sich von Beamten des Polizeiinspektion Nord per Atemtest seinen Rausch messen lassen kann. Die setzen auf den Überraschungseffekt und lassen die Probanden erst raten, wieviele Promille sie intus haben. Die meisten liegen falsch, unterschätzen die Gefahr. "Betrunkenheitsfahrten auf diese Weise zu verhindern ist mir tausendmal lieber, als soundsoviele Alkoholsünder zu bestrafen", sagt Polizeihauptmeister Michael Kalausch, der als Kontaktbereichsbeamter am Samstag mit von der Partie war. Bis früh um vier boten er und seine Kollegen den besonderen Service an, kamen mit Disko-Besuchern ins Gespräch. Einmal im Jahr, wahrscheinlich viel zu selten. Und mit seiner "Promille-Party" ist Oliver Steinmüller bisher leider Einzelgänger unter Erfurts Diskotheken-Betreibern. Markus STELLE 06.05.2007 http://lev-thueringen.de/spiegel/20070516195528/20070508005710/index.html [16.05.2007 22:33:56]