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Abi-Tagebuch: Wenn der Mathelehrer so verdächtig lächelt - SchulSPIEGEL - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten 14. Mai 2007<br />
Abi-Tagebuch: Wenn der Mathelehrer so verdächtig lächelt - SchulSPIEGEL - SPIEGEL ONLINE -<br />
Nachrichten 14. Mai 2007<br />
14. Mai 2007<br />
ABI-TAGEBUCH<br />
Wenn der Mathelehrer so verdächtig lächelt<br />
Letztes Jahr schien das Abitur noch ganz weit weg, jetzt steckt Christian Hambrecht, 19,<br />
mittendrin. Sein erster Härtetest: Mathe. In der Anspannung der Prüfung werden die<br />
Bamberger Schüler zu Tieren - und auch die Lehrer benehmen sich irgendwie seltsam.<br />
Ich wache Punkt halb acht auf - mein innerer Wecker, auf den zumeist kein Verlass ist,<br />
funktioniert heute. Als ich ins Bad schlurfe, erinnere ich mich, dass ich gestern der Gruppe<br />
"Nachm Abi geh ich erst mal kacken" bei SchülerVZ beigetreten bin. Ich tue es schon vorher.<br />
Dann dusche ich und denke über die psychische Wirkung des Abiturs nach.<br />
Vor einem Jahr war das Abitur noch riesig. Aber wie ein gigantischer Luftballon voll heißer<br />
Luft schnurrte der Ballon Abitur bald auf die Größe einer längeren Klausur zusammen. Das<br />
Abitur ist ein Scheinriese. Aus der Ferne riesengroß, von Nähe betrachtet erstaunlich klein.<br />
Ich frühstücke mit meinen Eltern. Alles wie sonst. Heute fährt mich mein Vater in die Schule.<br />
Das ist neu.<br />
Der Raum ist sauber, hell und karg, die Tische sind geometrisch perfekt angeordnet und<br />
tragen Platznummern. Der Schüler ist eine Nummer. Ich bin die letzte Nummer - 24 - und<br />
setze mich an Tisch 24, der hinten rechts im Eck am Fenster steht. Florian, das Mathegenie,<br />
sitzt an Tisch 1. Chris, der in Mathe bisher nur durch Abwesenheit geglänzt hat, aber an<br />
Tisch 2. Auf das Prinzip, das hinter dieser Sitzplatzverteilung steht, komme ich nicht. Ich<br />
blicke aus dem Fenster und sehe eine im Wind schwankende Kiefer. Alles ist so grün und<br />
warm da draußen. Unsere Mathelehrer lächeln viel. Ich bin mir nicht sicher, ob zur<br />
Aufmunterung oder aus heimlichem Sadismus.<br />
Der Abiturient, ein Tier auf der Jagd oder Flucht<br />
Punkt neun Uhr ist es schlagartig still. Das Abitur beginnt. Die Ruhe steckt jedoch voller<br />
Spannung, die sich dehnt, spannt, biegt, krümmt, verdichtet und den Raum wie ein<br />
Spinnennetz durchzieht, leicht erbeben und erschaudern lässt. Allmählich setzt der<br />
Geräuschpegel wieder ein. Ein Hüsteln, das dezente Rascheln von Papier, das meist störend<br />
laute Knacken eines Taschenrechners. Es folgt ein umso leiseres Blättern in der<br />
Formelsammlung, das schwungvolle Kratzen der Füllfederhalter auf Papier.<br />
Nach einer Stunde kann ich die Schüler in drei Kategorien aufteilen...<br />
● Gruppe 1: angestrengte, vor Konzentration verzerrte Gesichter, dunkle Ringe unter<br />
den Augen, schmale, fahle Lippen, die sich lautlos zu Worten formen.<br />
● Gruppe 2: Sie sind in einer Art Trance, sie wetzen voll Ungestüm auf ihren karierten<br />
Bögen herum, die Augen glänzen wie die von Bekifften, die Kinnladen sind<br />
vorgestreckt, die Lippen gespreizt, die Zähne gebleckt; ab und zu streicht die Zunge<br />
hungrig über die Lippen.<br />
● Gruppe 3: Lauter Leute, die sich betont gelassen geben. Sie blähen die Backen auf,<br />
lassen dann die Luft leise hinauszischen. Nach zwei Stunden verändert sich ihre<br />
Haltung schlagartig. Die Augen sind plötzlich rot gerändert und quellen hervor,<br />
Schweißperlen bilden sich am Haaransatz, die Unterlippe zittert. Man nagt und lutscht<br />
am Stift.<br />
Draußen scheint freundlich die Sonne.<br />
Der Abiturient ist wie ein Tier auf der Jagd oder Flucht, ein von Adrenalinstößen getriebenes<br />
Wesen. Seine gekrümmte Körperhaltung erinnert an ein Raubtier vor dem Sprung hinauf zur<br />
Spitze der Pyramide in Raumgeometrie. Ebenso leicht verheddert er sich dabei in einer<br />
Bernoulli-Kette und strauchelt (mehr...).<br />
Um 12 Uhr ist Abgabe. Alle haben jetzt abgespannte Gesichter.<br />
DER AUTOR<br />
Christian Hambrecht, 19, ist Schüler am Kaiser- Heinrich- Gymnasium in Bamberg. Er<br />
schreibt Abi- Klausuren in Mathe, Deutsch, Geschichte, Kunst. Wenn das geschafft ist, will er<br />
in Freiburg Internationales Recht studieren.<br />
Am Schultor wartet Basti mit Bierflaschen. Er hat letztes Jahr Abitur gemacht und fühlt<br />
dieses Jahr mit uns. Wir trinken, rauchen und diskutieren über mündliche Prüfungen in<br />
Mathe. Ich bin müde und elektrisiert zugleich. Die Aufgaben, die ich nicht gelöst habe,<br />
gehen mir nach. Wo liegen meine Fehler? "Bei der Aufgabe X kam doch YZ heraus?" - "Ja,<br />
stimmt." "Verdammt, wieso bin ich da auf Q gekommen?" Es dauert ein wenig, bis mein<br />
Kopf klarer wird.<br />
Abschalten lautet jetzt die Devise. Als nächstes habe ich ein Stelldichein mit Bismarck, Hitler<br />
und Konsorten. Geschichte-Leistungskurs. Da muss ich fit sein.<br />
http://lev-thueringen.de/spiegel/20070516195528/20070516195153/index.html [16.05.2007 22:35:30]