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Das Untier Und Seine Verantwortung - Kritisches Netzwerk

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II. Erster Exkurs: Philosophiegeschichtliche Reflexion über anthropofugale Vernunft<br />

und <strong>Verantwortung</strong><br />

Bei dem Ausdruck "anthropofugale Vernunft" dürfte es sich um eine Wortschöpfung Ulrich<br />

Horstmanns handeln. Auch eine "Philosophie der Menschenflucht" ist aus der Geschichte der<br />

Philosophie eigentlich nicht geläufig, jedenfalls nicht in dem Sinne, daß man den Menschen flieht,<br />

ohne dafür einen höheren Wert, als den der Geselligkeit, anzustreben.<br />

Man floh die Gesellschaft der Menschen, um Zwiesprache mit Gott zu halten, um der Erleuchtung<br />

und damit Nirvana näherzukommen, aber den Menschen zu fliehen, um dagegen die durchaus<br />

zweifelhafte Seligkeit des Nichtseinmüssens (dessen Gleichsetzung mit Nirvana auf einer<br />

fundamentalen Fehlinterpretation buddhistischer Lehren beruht) einzutauschen, ist bis auf die<br />

Ausnahme weniger seiner von ihm zitierten Gewährsleute, z.B. Eduard von Hartmann, denn bei<br />

Arthur Schopenhauer kann Horstmanns Intention nicht wirklich festgemacht werden, ein Novum<br />

in der Philosophie.<br />

Ähnliches findet sich sonst nur bei dem Noch - Zeitgenossen Cioran, der dem Menschen<br />

empfiehlt, alles Schöne und Liebe zu opfern, nicht wie bei Meister Eckart damit sich Gott in ihn,<br />

der sich zum niedrigsten aller gemacht hat, ergieße, oder er sei nicht Gott (vgl.30;452f.), sondern<br />

um alles hinter sich zu lassen auf dem Weg ins Nichts. <strong>Das</strong> bei Friedrich Nietzsche geforderte<br />

intellektuale Gewissen (69;§2) scheint sein einziger Führer dorthin zu sein, bis es selbst auch der<br />

Opferwut seines Trägers zum Ziel und zur Beute wird, der dann - völlig orientierungslos - ganz<br />

ohne Zweifel wahrhaft existenzielle Erfahrungen macht. Aber selbst diese, mit all ihrer Lust an der<br />

Entfremdung 14 sind Horstmann, oder vielmehr seiner zu satirischen Zwecken angenommenen<br />

virtuellen Identität, auch nicht erstrebenswert (vgl.22;127), wenngleich Cioran durchaus schon<br />

anthropofugale Aspekte aufweist (vgl.ebd.).<br />

Horstmann will reinen Tisch machen. Dabei fällt der Aufweis einer "Geschichte der<br />

anthropofugalen Vernunft" naturgemäß schwer.<br />

Er beginnt mit den Mythen der Völker, in denen der Mensch noch seiner Umwelt ausgeliefert war.<br />

Der nächste Schritt führt ihn in die philosophische und literarische Zeit der Griechen. Mit einem<br />

Text aus dieser Zeit beginnt auch Hans Jonas sein Werk, mit dem Chorlied aus Sophokles'<br />

Antigone:<br />

"Ungeheuer ist viel, und nichts<br />

ungeheurer als der Mensch.<br />

Der nämlich über das graue Meer<br />

im stürmenden Süd fährt er dahin, andringend unter rings<br />

umrauschenden Wogen. Die Erde auch,<br />

der Göttlichen höchste, die nimmer vergeht<br />

und nimmer ermüdet, schöpfet er aus<br />

und wühlt, die Pflugschar pressend, Jahr<br />

14 Jeder ist seines Glückes Kafka.

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