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Das Untier Und Seine Verantwortung - Kritisches Netzwerk

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mythologische Riffgestein von etwaigen Veränderungen zu trennen 45 . Auf jeden Fall ist das<br />

Enuma Elisch 46 ein Urmythos, im 7. Jahrhundert v.Chr., zur Zeit Assurbanipals schon eine<br />

Nacherzählung, deren Ursprung bis ins zweite oder dritte Jahrtausend v.Chr. zurückreicht, älter als<br />

irgendein griechischer Mythos. Vermutlich hat der Mensch seit er (mental) da ist, versucht, sich<br />

ins rechte Licht zu setzen. Hätte Horstmann keine philosophische Satire verfaßt und würde er seine<br />

Thesen wirklich ernst meinen, so hätte man ihn hier, mit der Behauptung, Anthropofugalität sei<br />

typisch für Urmythen, bei der Vernebelung von Tatsachen bzw. Geschichtskorrektur ertappt. <strong>Das</strong><br />

Enuma Elisch ist nicht der einzige 5000 Jahre alte Mythos, den man gattungsnarzißtisch nennen<br />

könnte.<br />

Der durch Kultur geschützte Mensch erlebt weder die Natur, noch den Großstadtdschungel in<br />

Unmittelbarkeit, in der es in jeder Situation ums Ganze gehen würde und büßt so auch seine<br />

natürliche Fähigkeit zu philosophieren ein. So hat Horstmann nicht unrecht, den Stolz auf<br />

menschliche Errungenschaften in seinen letzten Folgen dennoch kritisch zu sehen, der keineswegs<br />

gering ist, wenn es auch gerade diese Errungenschaften sind, die dem Menschen das Epithet<br />

"<strong>Untier</strong>" so gemäß erscheinen lassen.<br />

Jonas beginnt sein Buch bezeichnenderweise mit dem Satz „Der endgültig entfesselte<br />

Prometheus...“, ein Zitat bei Percy Bysshe Shelley 47 , das zugleich einen direkten inhaltlichen<br />

Zusammenhang zwischen <strong>Untier</strong> und Prinzip <strong>Verantwortung</strong> nahelegt, denn auch Horstmann<br />

bezeichnet den Prometheus - Mythos als „gängige Selbstdeutungsschablone der Moderne“(40;13).<br />

George Bernard Shaw suchte den Mythos der Moderne eher in Wagner - Opern. In seinem Buch<br />

„Der perfekte Wagnerianer: Ein Kommentar zum Nibelungenring“ 48 führt er, bezugnehmend auf<br />

die „Götterdämmerung“, die ja thematisch hier naheliegt, aus: „Die Vorwürfe schmecken immer<br />

noch nach Bakunin 49 ; aber der Retter ist nicht mehr der Willensakt des erwachsenen Mannes -<br />

Geistes, der freie Woller der Notwendigkeit, in der Hand das Schwert, sondern einfach Liebe, und<br />

nichtmal Shelleysche Liebe, sondern vehemente sexuelle Leidenschaft“. Ungeachtet, ob es nun<br />

hier um Brünhilde oder Siegfried geht, zeigt sich das von Horstmann behauptete Bedürfnis der<br />

Moderne, sich selbst zu mythologisieren deutlich. Auch der nationalsozialistische „Mythus des 20.<br />

Jahrhunderts“ von Alfred Rosenberg ist ein Beispiel hierfür. Endgültig gelungen ist die<br />

Mythologisierung der Moderne in Mary Shelley’s „Frankenstein“, der deutlich die Probleme der<br />

45 Einzuwenden wäre auch, daß die Theogonie des Hesiod keine lebensfeindlichen Züge<br />

trägt, sondern im Gegenteil die Sexualität als Urkraft impliziert, der sich auch die Götter<br />

nicht entziehen können, wenn es auch seltsam anmutet, daß z.B. Echidna, "ein<br />

unsterbliches Weib", die man sich also anthropomorph vorstellt, zuerst Hunde, dann<br />

einen Löwen gebärt (vgl.83;2f.). Dagegenzuhalten aus Horstmanns Sicht wäre allerdings,<br />

daß es sich bei der Theogonie bereits um eine Kunstform des Mythos handelt.<br />

46 Übersetzt heißt das „Als droben...“, so beginnt der Mythos.<br />

47 Shelley, Percy Bysshe: Prometheus unbound. A Lyrical Drama in four acts, with other<br />

poems. London 1820. <strong>Seine</strong> Frau, Mary, nannte ihr berühmt gewordenes Buch, vielleicht<br />

den Roman unserer ganzen Epoche, „Frankenstein oder der neue Prometheus“.<br />

48 Shaw, Bernard: The Perfect Wagnerite: A Commentary on the Niblung’s Ring.<br />

London 1912<br />

49 Wagner war zu Revolutionszeiten, um 1848 befreundet mit Bakunin.

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