Das Untier Und Seine Verantwortung - Kritisches Netzwerk
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Da nur die Philosophie in ihrer Ethik vorrangig nach den Gründen des Handelns fragt, während<br />
die pädagogische Ethik, wie es scheint, in der praktischen Anwendung, eine weitgehend<br />
unreflektierte Lehre vom Guten vertritt, hielt ich es für richtig, meine Arbeit in Philosophie zu<br />
schreiben, die als Patin der Pädagogik ohnehin grundlegende Fragen direkter angeht.<br />
Immanuel Kant hatte vermutlich Gründe dafür, daß er sich wie viele andere Philosophen am<br />
liebsten davor gedrückt hätte, Pädagogik lehren zu müssen. Aus heutiger Sicht ist kaum noch<br />
verständlich, warum man ihn einst den „Alleszermalmer 2 “ genannt hat (58;5), schreibt doch Peter<br />
Sloterdijk, daß seine „Kritik der reinen Vernunft“ zu den Büchern gehöre, die man zwar<br />
bewundere, nicht aber gelesen hat. Bereits für Friedrich Nietzsche war Kants Sprache, die gewiß<br />
der logischen Absicherung seiner Thesen diente, die die Philosophie aus ihrer Stellung als „Magd<br />
der Theologie“ befreien sollten, zu verschraubt, wie denn auch heute alles Eindringen in das<br />
Kantsche Werk kaum über das gläubige Herunterrasseln des kategorischen Imperativs hinausgeht,<br />
wovor man vor allem Schulkinder behüten sollte, bei denen er nichts als den größten Unfug der<br />
Selbstanklage und der Illusion der eigenen Unzulänglichkeit hervorbringt. Die Möglichkeiten, den<br />
kategorischen Imperativ mißzuverstehen sind fast unbegrenzt. Bei allen Unzulänglichkeiten, die<br />
einer materialen Wertethik anhaften mögen, bleibt sie doch die einzig kindgemäße Ethik, weil die<br />
Forderungen einer formalen Ethik Kindern zu hoch hängen. In die Kerbe des Selbstzweifels durch<br />
die Konfrontation mit einem formalen Sittengesetz zur Unzeit schlägt am liebsten der<br />
Religionsunterricht, der den Kindern, mit der Lehre von der Erbsünde und ähnlichem, im<br />
Katholizismus wird diese auch noch als „Unkeuschheit“ verstanden (vgl.77;339), in der Folge mit<br />
eifriger evangelischer Unterweisung ein Zuhause im Schuldkomplex bereitet<br />
(vgl.52;43,65;83,66;226u.78;5f.). Statt eines verballhornten „bourgeoisen Imperativs“ ist die<br />
kantische Primärforderung der Willensfreiheit eher zu empfehlen, die bei Kant nämlich die<br />
Voraussetzung des kategorischen Imperativs ist. Daß jemand der Notwendigkeit und der<br />
Verknüpfung seines Willens mit ihr entgehe, ist ohnehin nicht zu befürchten 3 .<br />
Vor diesem Hintergrund, gleichsam als Fundament gemeint, ist meine Frage nach einem Leben<br />
vor dem Tod, anhand einer vergleichenden Erörterung über Hans Jonas und Ulrich Horstmann,<br />
gedacht.<br />
I.1.1 <strong>Das</strong> Überleben der Menschheit als das, was sie ist<br />
2 Kants kritische Position, in der er Rationalismus und Empirismus miteinander verband,<br />
hatte sich ursprünglich aus seiner Beschäftigung mit Leibniz und Newton ergeben, die er<br />
in seiner „Allgemeine(n) Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ 1755 und in seiner<br />
Dissertation „Physische Monadologie“ miteinander in Einklang zu bringen trachtete. <strong>Seine</strong><br />
Angriffe auf die herrschende Schulphilosophie ergaben sich nicht zuletzt aufgrund dieser<br />
Haltung, in der zwar Erfahrungen die Grundlage aller Erkenntnis sind, andererseits<br />
Erfahrungen aber erst durch bestimmte a priorische Voreinstellungen und<br />
Verstandesgesetze möglich werden.<br />
3 „Will man also einem Wesen, dessen <strong>Das</strong>ein in der Zeit bestimmt ist, Freiheit beilegen:<br />
so kann man es, sofern wenigstens, vom Gesetze der Naturnotwendigkeit aller<br />
Begebenheiten in seiner Existenz, mithin auch seiner Handlungen, nicht ausnehmen;<br />
denn das wäre so viel, als es dem blinden Ungefähr übergeben“(49;133u.vgl.50;78f.).