Das Untier Und Seine Verantwortung - Kritisches Netzwerk
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III.3.3 Untergang Roms - Verhinderung anthropofugaler Vernunft durch das<br />
Christentum<br />
Der Untergang Roms im Zuge der Völkerwanderung mußte auf den "antiken Anthropozentrismus<br />
als im Wortsinne barbarische Falsifikation seiner humanistischen Prämissen"(40;18) wirken.<br />
Infolgedessen verstummte er fast ein Jahrtausend lang. Die Greuel der überall wütenden<br />
Eroberungskriege hätten notwendig zu einer Wiederbelebung mythologischer Anthropofugalität<br />
geführt, wenn nicht mehrere Faktoren zugleich einer solchen Rückschau im Wege gestanden<br />
hätten. Da ist zum einen der schöpferische Mangel römischer Philosophie, die kaum je weiter als<br />
bis zur Adaption und einem Kommentar griechischen Denkens reichte. Zweitens wurde die<br />
Verbreitung unorthodoxer Ideen durch Einschüchterung und physische Vernichtung intelligenter<br />
Zeitgenossen verhindert. Schließlich aber stand der Wiederbelebung der Mythen das übermächtige<br />
rivalisierende Paradigma des Christentums im Wege. So konnte aus der Antike nur<br />
anthropozentrisches Gedankengut in das christliche Mittelalter tradiert werden (vgl.40;18).<br />
Der antike Humanismus, der angesichts realer Lebensbedingungen ohnehin kurz vor der<br />
Kapitulation stand, konnte mit dem Christentum eine neue, erheblich dauerhaftere Synthese<br />
bilden. <strong>Das</strong> Christentum sprach vom <strong>Untier</strong> im Menschen als Zeichen der Abkehr von Gott, sodaß<br />
der Humanismus für die Gläubigen gerettet war, der sogleich theozentrisch verankert wurde. <strong>Das</strong><br />
zentrale Credo des Christentums bezog sich auf den Liebestod des humanophilen Sohnes des<br />
Schöpfergottes, der "den periodischen misanthropischen Anwandlungen seines Vaters damit ein<br />
für allemal die Spitze nahm"(40;19). So lebt im Mittelalter der einzelne, um das <strong>Untier</strong> aus sich<br />
selbst zu vertreiben im Zuge eines Läuterungsprozesses, zu dem empfohlen wird, die Confessiones<br />
des Augustinus zu vergleichen. In früher Zeit zeigen sich die Phänomene des Märtyrertums, denen<br />
in späterer Zeit, dem christlichen Mittelalter, die Ideale der Versagung und Askese folgen 55 .<br />
III.3.4 Theozentrisch motivierte Gewalt im Mittelalter<br />
Den <strong>Untier</strong>en, denen Askese nicht sosehr lag und die sich selbst daher unfähig fanden, ihre<br />
Aggressionen und ihren Vernichtungswillen auf sich selbst zurückzuspiegeln, denjenigen also, die<br />
außerstande waren, vor dem Menschen „in den Schoß oder die schützende Hand Gottes“(40;20) zu<br />
fliehen, mußte die mächtige Kirche des Mittelalters die Möglichkeit geben, sich auszuagieren. Mit<br />
der Verfolgung von Häretikern und Andersgläubigen standen hierfür mannigfaltige Gelegenheiten<br />
zur Verfügung.<br />
Zwar sollten die Rechtgläubigen ihr eigenes Fleisch kasteien, gegen die Heiden und Ketzer jedoch<br />
war die Grausamkeit der Streiter für Christus ein Gottesgeschenk (vgl.40;20). Bei der Erstürmung<br />
Jerusalems am 15.7.1099 erreichte der „Eifer für die heilige Sache“ einen Höhepunkt, u.a. mit der<br />
Zertrümmerung heidnischer Säuglinge an Türpfosten 56 .<br />
55 Diese werden hier wohlgemerkt ob ihrer anthropofugalen Konnotation gelobt.<br />
56 Es mutet seltsam an, daß Horstmann hier auf eine Schilderung des unter dem<br />
Heerführer Gottfried von Bouillon, noch vor der Belagerung Jerusalems, auftretenden