Das Untier Und Seine Verantwortung - Kritisches Netzwerk
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ätselhaft. Nicht einmal im Pantheismus ist die Natur in dieser Weise<br />
notwendig als Person zu denken. Natürlich läßt sich eine Ethik der<br />
<strong>Verantwortung</strong> am leichtesten begründen, wenn man glaubt, daß schon<br />
die Natur für uns <strong>Verantwortung</strong> trage. Trotzdem gibt es bei allen<br />
tatsächlich vorhandenen natürlichen Sicherungen, die uns vor dem<br />
kollektiven Selbstmord bewahren, keine Anzeichen für eine denkende<br />
„Mutter Natur“. Dieser naive Gedanke versteckt sich anscheinend<br />
schamhaft hinter der Wortgewaltigkeit von Jonas’ Diktion 163 . In dem noch<br />
folgenden Kapitel über Jansohn wird noch aufzuklären sein, daß Hans<br />
Jonas mit Subjektivität nicht „Mentalität“ meint. Es ist hier leicht, ihn<br />
mißzuverstehen und dann mit E.M. Cioran zu sagen: „Denker sind nicht zu<br />
retten“(22;179).<br />
VI.2.2 Die Pflicht zu leben<br />
In seinem Kapitel „Fortfall der Reziprozität in der Zukunftsethik“ stellt<br />
Jonas zunächst fest, daß die Reziprozität im Sinne eines Austausches von<br />
Rechten und Pflichten in einer Ethik für die Zukunft schon insofern<br />
wegfällt, als eine Pflicht für gewöhnlich nur dem gegenüber als solche gilt,<br />
den es schon gibt. Wie aber ist es mit einer Verpflichtung gegenüber noch<br />
Ungeborenen? <strong>Das</strong> Nichtexistierende hat Rechte erst dann, wenn es ist<br />
und noch nicht auf die bloße Möglichkeit seiner Existenz hin. „Der<br />
Anspruch auf Sein beginnt erst mit dem Sein. Aber gerade mit dem noch -<br />
nicht - Seienden hat es die gesuchte Ethik zu tun und ihr Prinzip der<br />
<strong>Verantwortung</strong> muß unabhängig sein, wie von aller Idee eines Rechtes, so<br />
auch von der einer Reziprozität - so daß in ihrem Rahmen die scherzhaft<br />
für sie erfundene Frage ‘Was hat die Zukunft je für mich getan? respektiert<br />
sie denn meine Rechte?’ schlechterdings nicht gefragt werden<br />
kann“(44;84).<br />
Schon in der herkömmlichen Moral gibt es eine nicht reziproke Pflicht, die<br />
man ohne weiteres anerkennt, die gegenüber den eigenen Kindern, die<br />
einem zwar vielleicht im Alter den Aufwand eigener Mühen vergelten,<br />
wobei dies allerdings nicht Bedingung ist für die Pflege, die man ihnen<br />
angedeihen läßt. Die <strong>Verantwortung</strong> für sie ist vielmehr bedingungslos.<br />
„Es ist dies die einzige von der Natur gelieferte Klasse völlig selbstlosen<br />
Verhaltens, und in der Tat ist dieses mit der biologischen Tatsache der<br />
Fortpflanzung gegebene Verhältnis zum unselbständigen Nachwuchs, und<br />
163 <strong>Seine</strong> Sprache bezeichnet Jonas selbst als antiquiert oder „altfränkisch“, da er die<br />
Weiterentwicklung der deutschen Sprache seit 1933 verpaßt habe (vgl.44;11).