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Das Untier Und Seine Verantwortung - Kritisches Netzwerk

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III.3.7.1Anmerkungen zu Horstmanns Text über die Aufklärung<br />

Wie im ganzen Text verallgemeinert Horstmann sehr stark, wenn er Voltaires Protagonisten aus<br />

„Zadig oder das Schicksal“ zitiert. Er läßt unerwähnt, daß der zweite Protagonist, dem der<br />

Titelheld Zadig erst im zwanzigsten Kapitel begegnet, einen Engel vorstellen soll, der sich als<br />

Eremit verkleidet hat. In verschiedenen Geschichten, die sich mit der gleichen galanten Neckerei<br />

mal gegen Leibniz und mal gegen Rousseau wenden, wie z.B. die Geschichte mit dem Huronen,<br />

betrachtet Voltaire die Erde aus der Sicht eines anfliegenden Engels. Die Erde kommt ihm vor, wie<br />

ein „Schmutzstäubchen“, auf dem sich Geziefer gegenseitig verschlingt, gemeint sind die<br />

Menschen, die von weit oben winzig aussehen. Voltaire hat durch diese kuriosen Perspektiven auf<br />

die Menschheit mit einigem Erfolg seine Leser unterhalten, was Horstmann auch nicht<br />

verschweigt. Diese ironische Selbstbespiegelung aus dem Weltall aber ernsthaft „anthropofugales<br />

Denken“ zu nennen, hätte Voltaire, der sich in der Rolle des ironischen Spaßmachers sehr gut<br />

gefiel und dabei das Spezialgebiet der Späße, die eigentlich keine sind, wie Katastrophen,<br />

menschliche Greueltaten usw. pflegte, wobei er aber dem Leben, wie seine Biographie andererseits<br />

zeigt, sehr zugetan war, sicher zu schallendem Gelächter veranlaßt. Die Stelle, wo Horstmann mit<br />

Voltaire noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen will und zu seinen Gunsten annimmt, es<br />

handele sich um „mühsam getrimmten Galgenhumor“, ist lächerlich! In der Konsequenz hieße das<br />

ja: „Ein Schurke, der das Leben liebt!“ Vielleicht bin ich auch einfach noch nicht gebrechlich<br />

genug, um Hostmann, der immerhin 13 Jahre älter ist als ich, diese Einstellung nachfühlen zu<br />

können!<br />

Der Humor des 18.Jahrhunderts scheint Horstmann jedenfalls zu derb zu sein. <strong>Seine</strong> Meinungen<br />

über Voltaire und den, dem Text nach völlig frommen Meslier, lassen ihn keineswegs härter,<br />

sondern vielmehr empfindlicher als andere heutige Zeitgenossen erscheinen. Daß in Frankreich zu<br />

Mesliers Zeiten ein Mensch, der nicht mit außerordentlichen Privilegien ausgestattet war, wie<br />

später Voltaire, den Intrigen sowohl der Kirche, als auch der staatlichen Organe hilflos ausgeliefert<br />

war, bleibt unbestritten 65 . Daß Voltaire, der aus heutiger Sicht soetwas wie satirische Fantasy -<br />

Romane geschrieben hat, über Gemetzel, die zu seiner Zeit stattfanden, direktere Informationen als<br />

die aus der Zeitung gehabt hat, ist aber eher unwahrscheinlich. Daher ist sein Stil auch ironisch<br />

und wirkt keineswegs wie aus dem Leben gegriffen. Oft scheinen seine Figuren aus Holz zu<br />

sein 66 , wie der Junker, den Candide zwar mit dem Degen erstochen hat, ihm aber nichtsdestotrotz<br />

Jahre später auf einer Galeere begegnet, wo beide Sträflinge sind, wobei natürlich Dr. Pangloss<br />

nicht fehlen darf, der das Hängen überlebt hat, wodurch sich ihm aber offenbar eine Fülle neuer<br />

Erkenntnisse mitgeteilt hat. Diese Geschöpfe von Voltaires Fantasie wären sogar in den Augen<br />

65 Die Schrecknisse der Armut im vorrevolutionären Frankreich sind besonders bei Victor<br />

Hugo und Eugene Sue in die Literatur eingegangen. Zu Maximilien de Robespierres<br />

nachrevolutionärer Schreckensherrschaft findet sich eine romanhafte Schilderung in<br />

Edward Bulwer - Lyttons „Zanoni“. Berichte finden sich (3;97f.).<br />

66 „Hölzernheit“(40;35) unterstellt Horstmann vielmehr den Gedankengebäuden des<br />

Leibniz.

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