Das Untier Und Seine Verantwortung - Kritisches Netzwerk
Das Untier Und Seine Verantwortung - Kritisches Netzwerk
Das Untier Und Seine Verantwortung - Kritisches Netzwerk
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
von dem fast nur das Wort stammt (außer der Bedeutung der Frechheit<br />
usw.). Zynismus ist bankrotter Idealismus, während Kynismus den<br />
gleichaltrigen ungleichen Bruder des Idealismus darstellt. Jonas’ Stil ist<br />
apollinisch - idealistisch, während der von Horstmann dionysisch -<br />
neokynisch ist (vgl.70;395).<br />
So ist also gegenüber einem morbiden und moribunden, weil von einem<br />
verlorenen Ideal herstammenden, Zynismus der Kynismus, in Sloterdijks<br />
Verständnis pure Vitalität. <strong>Das</strong> Sich Erheben des Geistes über die<br />
Niederungen der Materie erzeugt Illusionen und ist somit nicht vital. Der<br />
kynische Realismus macht den Blick frei für eine unmittelbare Erfahrung<br />
der Realität. Impulse dieser Art würden unserer Gesellschaft gewiß alles<br />
andere als Schaden zufügen. Allerdings befrachtet Sloterdijk Diogenes<br />
fast unbemerkt mit marxistischen Idealen. Er, der es stets ablehnte, zu<br />
arbeiten und seine Verhältnisse zu verbessern, wird zum Helden der<br />
Arbeit. Wenn Sloterdijks marxistischer Blickwinkel auch den Spaß an der<br />
Lektüre seines Buches nicht gerade erhöht, so gibt es doch genügend<br />
Beispiele, die den ungetrübten Genuß seiner kynischen Hauptthese<br />
zulassen. Man assoziiert mit Marxismus Omnipräsenz der Arbeit, in der<br />
Theorie wie in der Praxis, eine ebenso abstoßende wie unakzeptable<br />
Vorstellung. Der „Lob des Müßiggangs“ brachte Bertrand Russel 1955 den<br />
Nobelpreis. Die Definition des Menschen durch seine Arbeit ist veraltet.<br />
Früher hatte sie den Müßiggang der Wenigen auf Kosten der Vielen<br />
ermöglicht (vgl.79;14).<br />
Es ist bemerkenswert, daß Jonas mit der Attitüde „dies ist eine ernste<br />
Sache“ tatsächlich versäumt, auf die Möglichkeiten der Satire aufmerksam<br />
zu machen, die mitunter mehr ausrichten, will sagen mehr Volkswillen<br />
mobilisieren kann, als der abgehalfterte Sowjet - Kommunismus Anfang<br />
der 80er Jahre (vgl.44;306f.,317f.).<br />
Weiter unten konstatiert Jonas auch die Untauglichkeit der Utopie und<br />
beschwört dagegen den Realismus (vgl.44;389), wie auch Sloterdijk ihn<br />
beschreibt, nur alles ohne zu lachen. Jonas sei damit keineswegs ein<br />
sauertöpfischer Charakter unterstellt, was aber tatsächlich zu beklagen ist,<br />
ist die konventionelle Gebundenheit an das ernste Thema. Jonas<br />
emigrierte 1933 nach Palästina, und das Lachen wird ihm gegenüber den<br />
Greueln der Nazis vergangen sein. Auch wenn denkbar ist, daß wir,<br />
angesichts einer zerstörten planetaren Umwelt, ebenfalls Unsäglichem<br />
entgegengehen, so bleibt doch einzuwenden, daß Jonas nicht die