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Das Untier Und Seine Verantwortung - Kritisches Netzwerk

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Milieu, erhebt sich Serners Licht 73 . Entgegen der damaligen Rezeption handelt es sich dabei<br />

weniger um einen Angriff auf die guten Sitten, als vielmehr um die Rückkehr des Lebenswillens in<br />

die Philosophie.<br />

Nun zu seinem erstem Satz: „Um einen Feuerball rast eine Kotkugel, auf der<br />

Damenseidenstrümpfe verkauft und Gauguins geschätzt werden“(90;3). Ist das etwa<br />

„anthropofugales Denken“? „Die tausend Kleingehirn - Rastas ..., welche erigierten Bourgeois -<br />

Zeigefingern Feuilletonspalten servieren ..., um Geldflüsse zu lockern, haben dieserhalb<br />

Verwahrlosungen angerichtet, die noch heute manche Dame zu kurz kommen lassen“(ebd.). Es<br />

liegt nahe, dies als sexuelle Anspielung, oder zumindest undefinierbare Schlüpfrigkeit aufzufassen,<br />

nach Schopenhauer ein Symptom des Willens zum Leben 74 . „Was dürfte das erste Gehirn, das auf<br />

den Globus geriet, getan haben“(90;3)? Der Gedanke ist eine Monstrosität wie bei Voltaire.<br />

Der ganze Text, so unverständlich er teilweise ist, zielt offensichtlich nicht auf Verneinung des<br />

<strong>Das</strong>eins, sondern Erheiterung, in einer Welt, die als absurd empfunden wird.<br />

III.3.10 Moderne Zeiten<br />

Nach einer Irrfahrt über mehr als 2000 Jahre wurde durch Schopenhauer und Hartmann die uralte<br />

mythische Gewißheit wiederaufgedeckt, daß wir, die <strong>Untier</strong>e, die Parias sind auf dieser Welt und<br />

daß wir als Entartete gleichwohl der Schöpfung, wie der Evolution uns in einem „Spasmus der<br />

Vernichtung“(40;54) selbst aufheben und ad absurdum führen, die Nachwelt befreiend von der<br />

Erinnerung an unser schmerzhaftes <strong>Das</strong>ein.<br />

Hier wird anthropofugales Denken in seiner Wahrheit so evident, daß man sich fragt, wie<br />

überhaupt an ihr gezweifelt werden, wie sie überhaupt als Kern des Mythos verlorengehen konnte.<br />

Wenn auch Schopenhauer und Hartmann die gar nicht genug zu lobende Leistung der<br />

Wiederentdeckung der Menschenflucht vollbracht haben, so wurzelte doch der harte Kern der<br />

Lehre von der Selbstauslöschung des <strong>Untier</strong>s im Denken des frühen 19.Jahrhunderts und war<br />

dadurch idealistisch, wenn nicht gar romantisch geprägt. Die dadurch mit dem eigentlichen<br />

anthropofugalen Inhalt einhergehenden Konnotationen, der „Weltwille eines absoluten<br />

Unbewußten“, ein quasi - hegelianischer „Welt - Ungeist“, ebenso wie Schopenhauers<br />

„solipsistisch - phänomenalistische“ Erkenntnistheorie entsprechen nicht mehr dem Gusto eines<br />

metaphysikfeindlichen 20. Jahrhunderts. Aber wozu noch Askese fordern, Meditation oder<br />

Hartmanns merkwürdige Spiritismen treiben, wenn die Möglichkeiten, zur Erlösung zu gelangen,<br />

73 Vgl. „Über Walter Serner“ in: Serner, Walter: <strong>Das</strong> Walter Serner Lesebuch. Alle 99<br />

Kriminalgeschichten in einem Band. München 1992, S. 597f.<br />

74 „Der Zeugungsakt verhält sich ... zur Welt, wie das Wort zum Räthsel. ...dies Alles (ist)<br />

nur die Erscheinung des Willens zum Leben; und die Koncentration, der Brennpunkt<br />

dieses Willens, ist der Generationsakt... Nicht weniger entspricht dieser Eigenschaft, daß<br />

er das große αρρ ρρητον, das öffentliche Geheimniß ist, welches nie und nirgends deutlich<br />

erwähnt werden darf, aber immer und überall sich, als die Hauptsache, von selbst<br />

versteht, ... <strong>Das</strong> Belustigende liegt nur in der steten Verheimlichung der<br />

Hauptsache“(86;740f.).

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