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Examenskurs Grundrechte - servat.unibe.ch

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6. Kapitel: Fälle und Lösungen<br />

1. S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong><br />

Der S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> des Art. 2 I GG ist bei Freizeitbes<strong>ch</strong>äftigungen wie dem Reiten<br />

im Walde umstritten.<br />

Hinweis: Bei der Subsumtion ist zu bea<strong>ch</strong>ten, daß ni<strong>ch</strong>t das Reiten, sondern nur die<br />

freie Wahl des Reitweges bes<strong>ch</strong>ränkt wird.<br />

a) Na<strong>ch</strong> der Persönli<strong>ch</strong>keitskerntheorie (Peters) ist eine Handlung nur dann dur<strong>ch</strong><br />

Art. 2 I GG ges<strong>ch</strong>ützt, wenn sie zur Entfaltung der geistig sittli<strong>ch</strong>en Persönli<strong>ch</strong>keit<br />

beiträgt. Eine sol<strong>ch</strong>e Wirkung kann dem Reiten auf Lieblingswegen im Verglei<strong>ch</strong><br />

zu Nebenwegen ni<strong>ch</strong>t zuges<strong>ch</strong>rieben werden. Folgli<strong>ch</strong> wäre na<strong>ch</strong> dieser<br />

Ansi<strong>ch</strong>t der S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t betroffen.<br />

b) Na<strong>ch</strong> einem Sondervotum von Dieter Grimm, das man als Bagatellisierungslehre<br />

bezei<strong>ch</strong>nen könnte, verdienen nur sol<strong>ch</strong>e Handlungsweisen grundre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>utz, die ni<strong>ch</strong>t als bloße Bagatelle einzustufen sind. Die Wahl des Reitweges<br />

wäre als eine verglei<strong>ch</strong>sweise unwi<strong>ch</strong>tige Freiheitsbetätigung dana<strong>ch</strong> ebenfalls<br />

ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ützt.<br />

c) Die herrs<strong>ch</strong>ende Meinung sieht im S<strong>ch</strong>utz der allgemeinen Handlungsfreiheit<br />

gemäß Art. 2 I GG hingegen einen umfassenden Auffangtatbestand, in dem jedes<br />

Handeln letztli<strong>ch</strong> Grundre<strong>ch</strong>tsrelevanz gewinnt, glei<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>es Gewi<strong>ch</strong>t es im<br />

Verglei<strong>ch</strong> zu anderen Freiheitsbetätigungen haben mag. Nur diese Ansi<strong>ch</strong>t führt<br />

dazu, daß die Reitwegwahl des R in den S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> des Grundre<strong>ch</strong>ts fällt.<br />

Hinweis: Der Meinungsstreit muß im folgenden nur deshalb diskutiert werden, weil<br />

die Ansi<strong>ch</strong>ten in diesem Fall zu unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Ergebnissen führen. Häufig fehlt<br />

es an sol<strong>ch</strong>er Ergebnisdivergenz. Dann kann der S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> von Art. 2 I GG sehr<br />

kurz behandelt werden.<br />

d) Für die Persönli<strong>ch</strong>keitskerntheorie spri<strong>ch</strong>t zwar, daß sie si<strong>ch</strong> eng an den<br />

Wortlaut des Art. 2 I GG anlehnt, und für die Bagatellisierungslehre spri<strong>ch</strong>t, daß<br />

sie die Reduzierung des Grundre<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzes zur ʺkleinen Münzeʺ verhindern<br />

und diesen auf die wi<strong>ch</strong>tigen Kerngehalte persönli<strong>ch</strong>er Freiheitsentfaltung konzentrieren<br />

kann, do<strong>ch</strong> haben beide Bes<strong>ch</strong>ränkungen den Na<strong>ch</strong>teil, daß sie die allgemeine<br />

Handlungsfreiheit ni<strong>ch</strong>t mehr als Auffanggrundre<strong>ch</strong>t einsetzen. Nur<br />

die herrs<strong>ch</strong>ende Meinung kann si<strong>ch</strong>erstellen, daß jede Handlungsweise, selbst<br />

wenn sie im Verglei<strong>ch</strong> mit anderen no<strong>ch</strong> so unwi<strong>ch</strong>tig ers<strong>ch</strong>einen mag, der<br />

grundre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Kontrolle unterliegt. Damit läßt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dem Umstand Re<strong>ch</strong>nung<br />

tragen, daß Bagatellhandlungen, die den meisten Mens<strong>ch</strong>en unwi<strong>ch</strong>tig ers<strong>ch</strong>einen<br />

mögen, für einzelne Grundre<strong>ch</strong>tsträger großes Gewi<strong>ch</strong>t haben können.<br />

Historis<strong>ch</strong> spri<strong>ch</strong>t zudem für die Annahme eines Auffangtatbestands, daß die<br />

Entwurfsfassungen des heutigen Art. 2 I GG no<strong>ch</strong> ganz allgemein davon spra-

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