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Examenskurs Grundrechte - servat.unibe.ch

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II. Persönli<strong>ch</strong>e Integrität und Freiheit 69<br />

folgenden <strong>Grundre<strong>ch</strong>te</strong>...«) ist der Grundre<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>arakter der Norm umstritten,<br />

wird aber überwiegend bejaht. Au<strong>ch</strong> wer den Mens<strong>ch</strong>enwürdesatz allein als objektives<br />

Verfassungsprinzip ohne subjektiv-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Äquivalent ansieht,<br />

kommt im Ergebnis denno<strong>ch</strong> zu einem verglei<strong>ch</strong>baren S<strong>ch</strong>utz, weil die meisten<br />

Inhalte si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> mit der S<strong>ch</strong>utzpfli<strong>ch</strong>tenseite einzelner <strong>Grundre<strong>ch</strong>te</strong> begründen<br />

lassen. S<strong>ch</strong>on die Verknüpfung der Mens<strong>ch</strong>enwürde mit der Ewigkeitsgarantie 35<br />

(Art. 79 III GG) spri<strong>ch</strong>t dafür, daß nur ganz unverzi<strong>ch</strong>tbare Gehalte zu deren<br />

S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> gehören. Das wird in Klausuren häufig übersehen, wenn eine hoheitli<strong>ch</strong>e<br />

Maßnahme niedriger Eingriffsintensität (Haars<strong>ch</strong>nitt bei der Bundeswehr<br />

etc.) kurzerhand als Mens<strong>ch</strong>enwürdewidrigkeit statt bloß als unverhältnismäßige<br />

Freiheitsbeeinträ<strong>ch</strong>tigung subsumiert wird.<br />

Aus der Unantastbarkeitsgarantie (»ist unantastbar«) folgt eine gegenüber<br />

allen anderen Freiheitsre<strong>ch</strong>ten modifizierte Prüfungsfolge. Da jede Beeinträ<strong>ch</strong>tigung<br />

der Mens<strong>ch</strong>enwürde glei<strong>ch</strong>zeitig ihre Verletzung bedeutet, verbietet si<strong>ch</strong><br />

die Rede von mögli<strong>ch</strong>erweise verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>tfertigten Bes<strong>ch</strong>ränkungen.<br />

Die systematis<strong>ch</strong>e Dreiteilung der Prüfung entfällt. Statt dessen ist nur zu<br />

prüfen:<br />

1. S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong>enwürde (Art. 1 I GG)<br />

2. Verletzung der Mens<strong>ch</strong>enwürde<br />

Den Definitionss<strong>ch</strong>wierigkeiten des S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong>s versu<strong>ch</strong>en Lehre und Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung<br />

mit der Objektformel (Dürig) zu begegnen, na<strong>ch</strong> der der Mens<strong>ch</strong>enwürdesatz<br />

verbietet, den konkreten Mens<strong>ch</strong> zum Objekt, zu einem bloßen Mittel,<br />

zur vertretbaren Größe herabzuwürdigen. Damit lassen si<strong>ch</strong> aber allenfalls evidente<br />

Fälle identifizieren (öffentli<strong>ch</strong>e Demütigung, Mißbrau<strong>ch</strong> als lebendes Organlager,<br />

kommerzielle Adoptionsvermittlung, Mens<strong>ch</strong>enhandel), denn es kann<br />

ni<strong>ch</strong>t jedes der alltägli<strong>ch</strong>en Beispiele gemeint sein, in denen das Re<strong>ch</strong>t den Mens<strong>ch</strong>en<br />

insofern zum ʺObjektʺ ma<strong>ch</strong>t, als es verlangt, daß er si<strong>ch</strong> ohne Rücksi<strong>ch</strong>t<br />

auf seine Interessen im Einzelfall zu fügen hat. Au<strong>ch</strong> die übrigen Bestimmungsversu<strong>ch</strong>e<br />

– Mitgifttheorien (<strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>e imago-dei-Lehre), Leistungstheorien (Errungens<strong>ch</strong>aft<br />

der Identitätsbildung), Kommunikationstheorien (soziale Anerkennungsgemeins<strong>ch</strong>aft)<br />

– haben ihre je eigenen S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en, besonders in den<br />

s<strong>ch</strong>wierigen Grenzfällen von S<strong>ch</strong>werstbehinderung oder Komazuständen.<br />

Sehr umstritten ist die Mens<strong>ch</strong>enwürde des nasciturus (d.h. sinngemäß: des<br />

Geburtsgeweihten, also des ungeborenen Lebens), die das Bundesverfassungsgeri<strong>ch</strong>t<br />

aus einer Verkoppelung mit dem Lebensre<strong>ch</strong>t gefolgert hat: »Wo mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es<br />

Leben existiert, kommt ihm Mens<strong>ch</strong>enwürde zu« (BVerfGE 39, 1 [41] –<br />

S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aftsabbru<strong>ch</strong> I). Diese Formel ist mit der Re<strong>ch</strong>tfertigung von Tötung<br />

(Soldaten, Polizisten, Feuerwehrleute, polizeili<strong>ch</strong>er Todess<strong>ch</strong>uß) s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong>

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