Examenskurs Grundrechte - servat.unibe.ch
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Fall 4: Festungsumzug 175<br />
ein, als sie si<strong>ch</strong>, wie hier, versammlungsspezifis<strong>ch</strong> als Veranstalter betätigen können.<br />
bb) Versammlungsbegriff<br />
Fragli<strong>ch</strong> ist indes, ob der sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> des Art. 8 I GG eröffnet ist. Die<br />
das Verbot erlassende Behörde weist darauf hin, daß es si<strong>ch</strong> um eine bloße Unterhaltungsveranstaltung<br />
handelt. Die Anforderungen an eine inhaltli<strong>ch</strong>e Qualifizierung<br />
von Versammlungen i.S.v. Art. 8 I GG sind umstritten.<br />
(1) Enger Versammlungsbegriff<br />
Na<strong>ch</strong> dem engen Versammlungsbegriff der älteren Lehre ist eine Versammlung<br />
i.S.v. Art. 8 I GG nur eine Zusammenkunft einer Anzahl von Mens<strong>ch</strong>en zu dem<br />
Zweck, öffentli<strong>ch</strong>e Angelegenheiten gemeinsam zu erörtern oder eine gemeinsame<br />
Kundgebung zu veranstalten. Für Unterhaltungsveranstaltungen neigt<br />
au<strong>ch</strong> die neueste Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung dieser restriktiven Begriffsbildung zu.<br />
Hinweis: BVerfG NJW 2001, 2459 – Musikparaden; OVG Münster NVwZ 2001,<br />
1316 – Inline-Skater<br />
Bei aller Vieldeutigkeit dessen, was unter öffentli<strong>ch</strong>en Angelegenheiten verstanden<br />
werden kann, ist der Festungsumzug, der im wesentli<strong>ch</strong>en eine Unterhaltungsveranstaltung<br />
für die Teilnehmenden und Zus<strong>ch</strong>auer ist, jedenfalls ni<strong>ch</strong>t<br />
mehr eine Erörterung im Sinne des engen Versammlungsbegriffs. Folgli<strong>ch</strong> ist<br />
na<strong>ch</strong> dieser Ansi<strong>ch</strong>t der S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> des Art. 8 I GG ni<strong>ch</strong>t eröffnet.<br />
(2) Erweiterter Versammlungsbegriff<br />
Na<strong>ch</strong> den Vertretern eines erweiterten Versammlungsbegriffs muß zwar der<br />
Zweck der Versammlung in der Meinungsbildung und Meinungskundgabe bestehen.<br />
Dieser Zweck soll aber sehr weit zu verstehen sein. Dana<strong>ch</strong> können beliebige<br />
gemeinsame Ausdrucksformen, selbst wenn sie na<strong>ch</strong> Inhalt und Form<br />
unterhaltend sind, no<strong>ch</strong> als Meinungskundgabe eingestuft werden. Der Festungsumzug<br />
drückt eine Erinnerung an mittelalterli<strong>ch</strong>e Sitten aus. Er will in<br />
unterhaltender Weise an Tradition und Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Stadt erinnern. Na<strong>ch</strong> dem<br />
erweiterten Versammlungsbegriff ist er also eine Versammlung i.S.v. Art. 8 I GG.<br />
(3) Weiter Versammlungsbegriff<br />
Na<strong>ch</strong> den Vertretern des weiten Versammlungsbegriffs erfolgt gar keine Qualifizierung<br />
des Versammlungszwecks. Es genügt selbst reine Unterhaltung, um den<br />
S<strong>ch</strong>utz des Art. 8 I GG auszulösen, jedenfalls soweit si<strong>ch</strong> die Akteure auf den<br />
S<strong>ch</strong>utz berufen. Solange si<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en überhaupt mit gemeinsamem Zweck<br />
versammeln und ni<strong>ch</strong>t bloß zufällig ansammeln, sei der S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> des Art. 8