Examenskurs Grundrechte - servat.unibe.ch
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Fall 3: Eigenbedarf 169<br />
Folgli<strong>ch</strong> ist die Regelung des § 573 BGB au<strong>ch</strong> materiell verfassungsgemäß.<br />
b) Verfassungsmäßigkeit der Auslegung und Anwendung der Norm im<br />
angegriffenen Urteil<br />
Die verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tfertigung des Eigentumseingriffs setzt außerdem<br />
voraus, daß au<strong>ch</strong> die konkrete Auslegung und Anwendung der Norm im angegriffenen<br />
Urteil verfassungsgemäß ist.<br />
aa) Prüfungsumfang<br />
Bei Urteilsverfassungsbes<strong>ch</strong>werden ist zunä<strong>ch</strong>st zu berücksi<strong>ch</strong>tigen, daß die<br />
Auslegung und Anwendung einfa<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts dur<strong>ch</strong> das Bundesverfassungsgeri<strong>ch</strong>t<br />
nur einges<strong>ch</strong>ränkt erfolgen kann. Das Geri<strong>ch</strong>t ist keine Superrevisionsinstanz.<br />
Die Überprüfung einfa<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts obliegt grundsätzli<strong>ch</strong> den dafür zuständigen<br />
Fa<strong>ch</strong>geri<strong>ch</strong>ten. Der Prüfungsumfang im Rahmen der Verfassungsbes<strong>ch</strong>werde<br />
als eines außerordentli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsbehelfs bes<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong> insoweit auf<br />
die Frage, ob in der angefo<strong>ch</strong>tenen Ents<strong>ch</strong>eidung eine spezifis<strong>ch</strong>e Verletzung von<br />
<strong>Grundre<strong>ch</strong>te</strong>n liegt, insbesondere dadur<strong>ch</strong>, daß das Geri<strong>ch</strong>t bei der Anwendung<br />
des einfa<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts Bedeutung und Tragweite eines Grundre<strong>ch</strong>ts verkannt hat.<br />
Im vorliegenden Fall besteht die Mögli<strong>ch</strong>keit, daß die konkrete Anwendung<br />
des § 573 BGB dur<strong>ch</strong> das Geri<strong>ch</strong>t unter Verkennung der Bedeutung und Tragweite<br />
der Eigentumsgarantie erfolgt ist. Die Frage der Normanwendung liegt insoweit<br />
innerhalb des verfassungsgeri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Prüfungsumfangs.<br />
bb) Verhältnismäßigkeit der Normanwendung<br />
Fragli<strong>ch</strong> ist, ob die Fa<strong>ch</strong>geri<strong>ch</strong>te bei der Anwendung des § 573 BGB im Falle des<br />
zwis<strong>ch</strong>en V und M bestehenden Re<strong>ch</strong>tsstreits eine dem Verhältnismäßigkeitsprinzip<br />
entspre<strong>ch</strong>ende Auslegung der unbestimmten Re<strong>ch</strong>tsbegriffe ʹbere<strong>ch</strong>tigtes<br />
Interesseʹ und ʹEigenbedarfʹ gewählt haben.<br />
Die Geri<strong>ch</strong>te haben beide Tatbestandsmerkmale verneint, um den gesetzli<strong>ch</strong>en<br />
Zweck des Mieters<strong>ch</strong>utzes zugunsten der M zu verwirkli<strong>ch</strong>en. Die Unwirksamerklärung<br />
der Kündigung ist zur Bewirkung dieses S<strong>ch</strong>utzes ein geeignetes<br />
und mangels anderer, glei<strong>ch</strong> wirkender Ents<strong>ch</strong>eidungsmögli<strong>ch</strong>keiten au<strong>ch</strong> erforderli<strong>ch</strong>es<br />
Mittel.<br />
Als fragli<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint aber, ob diese Normanwendung mit Blick auf das Eigentumsre<strong>ch</strong>t<br />
der V no<strong>ch</strong> angemessen ist. Für die Angemessenheit spri<strong>ch</strong>t, daß<br />
die M für die Zwangslage der V ni<strong>ch</strong>t verantwortli<strong>ch</strong> ist und dur<strong>ch</strong> eine Kündigung<br />
erhebli<strong>ch</strong>e Na<strong>ch</strong>teile hätte. Andererseits erfordert die Privatnützigkeit des<br />
verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Eigentums, daß der Wille der V zur Eigennutzung ihrer<br />
Wohnung grundsätzli<strong>ch</strong> zu bea<strong>ch</strong>ten ist. Bei einer Eigenbedarfskündigung geht