Examenskurs Grundrechte - servat.unibe.ch
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2. Kapitel: Die Grundre<strong>ch</strong>tsprüfung<br />
Die Wesensgehaltsgarantie ist ganz im stärkeren Kontrollinstrumentarium des<br />
Verhältnismäßigkeitsprinzips aufgegangen. Au<strong>ch</strong> die übrigen S<strong>ch</strong>ranken-<br />
S<strong>ch</strong>ranken kommen neben dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nur ausnahmsweise<br />
für eine ausführli<strong>ch</strong>e Prüfung in Betra<strong>ch</strong>t. Gerade das Zitiergebot (Art. 19 I 2<br />
GG) wird vom Bundesverfassungsgeri<strong>ch</strong>t und der (no<strong>ch</strong>) herrs<strong>ch</strong>enden Lehre auf<br />
Fälle ʺe<strong>ch</strong>terʺ Verkürzung der Grundre<strong>ch</strong>tssubstanz bes<strong>ch</strong>ränkt (Lebenss<strong>ch</strong>utz 71 ,<br />
Erziehungsre<strong>ch</strong>t 84 , Versammlungsfreiheit 86 , Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis<br />
78 , Freizügigkeit 73 , Wohnung 81 ). Im Normalfall der ʺsonstigen grundre<strong>ch</strong>tsrelevanten<br />
Regelungʺ wird das Zitiergebot hingegen ni<strong>ch</strong>t angewendet (Berufsfreiheit<br />
98 , Inhaltsbestimmung des Eigentums 102 , Meinungsfreiheit 90 , allgemeine<br />
Handlungsfreiheit 66 , Religionsfreiheit 95 und andere normtextli<strong>ch</strong> vorbehaltlose<br />
<strong>Grundre<strong>ch</strong>te</strong> sowie Glei<strong>ch</strong>heitsre<strong>ch</strong>te 115 ). Das Allgemeinheitspostulat (Art. 19 I<br />
1 GG) verbietet zwar (individualbezogene) Einzelpersonengesetze, ni<strong>ch</strong>t aber<br />
(anlaß- oder planungsbezogene) Maßnahmegesetze.<br />
Die verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Prüfung einer hoheitli<strong>ch</strong>en Einzelmaßnahme – sei<br />
es der Verwaltung (Verwaltungsakt), sei es des Geri<strong>ch</strong>ts (Urteil oder Bes<strong>ch</strong>luß),<br />
beides insbesondere bei Urteilsverfassungsbes<strong>ch</strong>werden – unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> von<br />
derjenigen einer generell-abstrakten Norm (Parlamentsgesetz, Re<strong>ch</strong>tsverordnung,<br />
Satzung). Bei Einzelmaßnahmen muß einerseits die gesetzli<strong>ch</strong>e Ermä<strong>ch</strong>tigungsgrundlage<br />
geprüft werden, andererseits aber zusätzli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Maßnahme<br />
selbst, denn es ist mögli<strong>ch</strong>, daß ein Gesetz verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>tfertigt<br />
ist, die Anwendung des Gesetzes aber eine Grundre<strong>ch</strong>tsverletzung darstellt.<br />
Wenn sowohl die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes in abstracto als au<strong>ch</strong> diejenige<br />
der darauf gestützten Maßnahme in concreto ernsthaft fragli<strong>ch</strong> ist, kommt<br />
es zu einer doppelten Verhältnismäßigkeitsprüfung, die selbst in Examensklausuren<br />
häufig mißlingt. Verhängt beispielsweise der Behördenleiter ein Hausverbot,<br />
weil ein Bürger verbotswidrig innerhalb der Behördenräume gerau<strong>ch</strong>t hat, so<br />
ließe si<strong>ch</strong> die Grundre<strong>ch</strong>tsprüfung folgendermaßen aufbauen:<br />
1. S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG)<br />
2. Eingriff<br />
3. Verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tfertigung<br />
a) Verfassungsmäßigkeit des Rau<strong>ch</strong>verbotsgesetzes<br />
aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit<br />
bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit – Verhältnismäßigkeit des<br />
Rau<strong>ch</strong>verbotsgesetzes<br />
b) Verhältnismäßigkeit des Hausverbots<br />
Diese doppelte Prüfung muß in der Formulierung des Guta<strong>ch</strong>tens dur<strong>ch</strong> einen<br />
passenden Obersatz eingeleitet sein: