Examenskurs Grundrechte - servat.unibe.ch
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6. Kapitel: Fälle und Lösungen<br />
1. S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> der Eigentumsfreiheit (Art. 14 I GG)<br />
Der S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> des Eigentums umfaßt alle privatre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en vermögenswerten<br />
Re<strong>ch</strong>te. Ges<strong>ch</strong>ützt werden sowohl der Bestand des Eigentums, d.h. seine<br />
Substanz, als au<strong>ch</strong> die freie Nutzungs- und Verfügungsmögli<strong>ch</strong>keit. Die Freiheit<br />
der V, die in ihrem Eigentum stehende Wohnung ni<strong>ch</strong>t weiter zu vermieten, sondern<br />
selbst zu beziehen, würde dana<strong>ch</strong> thematis<strong>ch</strong> in den S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> des Art.<br />
I 14 GG fallen.<br />
Allerdings handelt es si<strong>ch</strong> bei der angegriffenen Maßnahme um ein zivilgeri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es<br />
Urteil, das die Re<strong>ch</strong>tslage zwis<strong>ch</strong>en zwei Privaten betrifft. Eine<br />
S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong>sbeeinträ<strong>ch</strong>tigung ist nur mögli<strong>ch</strong>, soweit die <strong>Grundre<strong>ch</strong>te</strong> au<strong>ch</strong> im<br />
Privatre<strong>ch</strong>tsverkehr gelten, also eine sogenannte Dritt- oder Horizontalwirkung<br />
entfalten. Das ist umstritten.<br />
a) Geht man von einer unmittelbaren Drittwirkung der <strong>Grundre<strong>ch</strong>te</strong> aus, wie es<br />
das Bundesarbeitsgeri<strong>ch</strong>t für eine Reihe von <strong>Grundre<strong>ch</strong>te</strong>n befürwortet, so<br />
könnte V si<strong>ch</strong> ohne weiteres au<strong>ch</strong> ihrer Mieterin M gegenüber auf Art. 14 I GG<br />
berufen. M hätte bei der Abwehr des Räumungsverlangens der V deren <strong>Grundre<strong>ch</strong>te</strong><br />
zu bea<strong>ch</strong>ten.<br />
b) Die herrs<strong>ch</strong>ende Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der <strong>Grundre<strong>ch</strong>te</strong><br />
sieht in Generalklauseln und unbestimmten Re<strong>ch</strong>tsbegriffe des Zivilre<strong>ch</strong>ts diejenigen<br />
Einbru<strong>ch</strong>stellen, bei deren Auslegung und Anwendung <strong>Grundre<strong>ch</strong>te</strong> zu<br />
berücksi<strong>ch</strong>tigen sind. Das bere<strong>ch</strong>tigte Interesse und der Eigenbedarf in § 573 II<br />
BGB sind unbestimmte Re<strong>ch</strong>tsbegriffe, die unter Bea<strong>ch</strong>tung von <strong>Grundre<strong>ch</strong>te</strong>n<br />
ausgelegt werden müssen. Au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der herrs<strong>ch</strong>enden Meinung wäre folgli<strong>ch</strong><br />
Art. 14 I GG im Zivilre<strong>ch</strong>tsstreit zwis<strong>ch</strong>en V und M erhebli<strong>ch</strong>.<br />
c) Die von S<strong>ch</strong>wabe vertretene Direktwirkung der <strong>Grundre<strong>ch</strong>te</strong> dur<strong>ch</strong> Bindung<br />
der Judikative bei ihrer Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ungstätigkeit führt ebenfalls zu dem Ergebnis,<br />
daß das Eigentumsgrundre<strong>ch</strong>t im Zivilprozeß zwis<strong>ch</strong>en V und M zu berücksi<strong>ch</strong>tigen<br />
ist.<br />
d) Folgli<strong>ch</strong> führen im vorliegenden Fall alle Theorien übereinstimmend zu dem<br />
Ergebnis, daß die zivilre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> bedingte und dur<strong>ch</strong> das Geri<strong>ch</strong>tsurteil re<strong>ch</strong>tskräftig<br />
festgestellte Verminderung der Verfügungsbefugnis der V in den S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong><br />
des Eigentumsgrundre<strong>ch</strong>ts fällt.<br />
2. Eingriff<br />
Es müßte ein Eingriff vorliegen. Ein Eingriff ist jede staatli<strong>ch</strong>e Maßnahme, die<br />
eine in den S<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> fallende Tätigkeit ers<strong>ch</strong>wert, verbietet, unmögli<strong>ch</strong><br />
ma<strong>ch</strong>t oder sanktioniert, insbesondere jede Maßnahme, mit der dies zielgeri<strong>ch</strong>tet<br />
und re<strong>ch</strong>tsförmig ges<strong>ch</strong>ieht (klassis<strong>ch</strong>er Eingriff). Die letztinstanzli<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>ei-