Examenskurs Grundrechte - servat.unibe.ch
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2. Kapitel: Die Grundre<strong>ch</strong>tsprüfung<br />
verzi<strong>ch</strong>tet, sondern ledigli<strong>ch</strong> auf dessen Geltendma<strong>ch</strong>ung. Ein sol<strong>ch</strong>er freiverantwortli<strong>ch</strong>er<br />
Verzi<strong>ch</strong>t ist zwar im Grundgesetz ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong> geregelt, muß<br />
aber s<strong>ch</strong>on deshalb mögli<strong>ch</strong> sein, weil in ihm ebenfalls eine Ausübung von Freiheit<br />
liegt: aktuelles Beispiel ist die freiwillige Teilnahme an einem Spei<strong>ch</strong>eltest<br />
zur gente<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> unterstützten Strafverfolgung. Unter Privaten liegt analog dazu<br />
kein Übergriff vor, wenn wirksam (d.h. freiverantwortli<strong>ch</strong>) in eine grundre<strong>ch</strong>tsbeeinträ<strong>ch</strong>tigende<br />
Maßnahme (z.B. medizinis<strong>ch</strong>e Behandlung) eingewilligt wurde;<br />
die Handlung löst dann keine S<strong>ch</strong>utzpfli<strong>ch</strong>t des Staates mehr aus.<br />
Wenn der beeinträ<strong>ch</strong>tigenden Maßnahme die Absi<strong>ch</strong>t, Unmittelbarkeit,<br />
Re<strong>ch</strong>tsförmigkeit oder Zwanghaftigkeit fehlt, dann kommt glei<strong>ch</strong>wohl ein Eingriff<br />
in ni<strong>ch</strong>tklassis<strong>ch</strong>er Form in Betra<strong>ch</strong>t – der faktis<strong>ch</strong>e oder mittelbare Eingriff.<br />
Allgemein anerkannte Kriterien dafür, wann eine faktis<strong>ch</strong>e oder mittelbare<br />
Beeinträ<strong>ch</strong>tigung als Eingriff qualifiziert werden muß, sind bisher weder in der<br />
Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung no<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Literatur erarbeitet worden. Ri<strong>ch</strong>tigerweise wird<br />
man auf die S<strong>ch</strong>were der Beeinträ<strong>ch</strong>tigung abzustellen und dabei verantwortungsmindernde<br />
Elemente wie die Unvorhersehbarkeit der Wirkung oder die<br />
Unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit des staatli<strong>ch</strong>en Handelns in Re<strong>ch</strong>nung zu stellen haben. Einen<br />
Einstieg bietet jeweils die Frage, ob die faktis<strong>ch</strong>e oder mittelbare Beeinträ<strong>ch</strong>tigung<br />
in ihren grundre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Wirkungen einem klassis<strong>ch</strong>en Eingriff verglei<strong>ch</strong>bar<br />
ist.<br />
Wer si<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ließt, selbst in Zweifelsfällen bei der guta<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Prüfung<br />
auf den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en klassis<strong>ch</strong>em Eingriffsbegriff und seinen modernen<br />
Erweiterungen überhaupt ni<strong>ch</strong>t mehr einzugehen, der kann glei<strong>ch</strong> auf den erweiterten<br />
Eingriffsbegriff abstellen:<br />
Ein Eingriff ist jedes der öffentli<strong>ch</strong>en Gewalt zure<strong>ch</strong>enbare Handeln, das<br />
dem Grundre<strong>ch</strong>tsträger ein grundre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> gewährleistetes Verhalten ganz<br />
oder teilweise unmögli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t.<br />
Aber au<strong>ch</strong> bei diesem Vorgehen bleibt es der guta<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Prüfung ni<strong>ch</strong>t erspart,<br />
mittelbare Fern- oder Bagatellwirkungen und subjektive Empfindli<strong>ch</strong>keiten<br />
dur<strong>ch</strong> eine wertende Zure<strong>ch</strong>nungsbetra<strong>ch</strong>tung vom Eingriffsbegriff wieder auszunehmen<br />
(Beispiele: Polizeieinsatz führt zum Stau, Pazifist fühlt si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />
Werbung der Bundeswehr gestört).<br />
Für die praktis<strong>ch</strong>e Fallprüfung empfiehlt es si<strong>ch</strong>, die Ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>keit des erweiterten<br />
Eingriffsbegriffs mit der klaren Prüfbarkeit des klassis<strong>ch</strong>en Eingriffs zu<br />
kombinieren. Dazu kann man, sofern ni<strong>ch</strong>t der Eingriff einfa<strong>ch</strong> im Urteilsstil<br />
festgestellt wird, folgende Begriffsbestimmung verwenden: