Examenskurs Grundrechte - servat.unibe.ch
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Fall 4: Festungsumzug 179<br />
(1) Geeignetheit<br />
Das Verbot verhindert die Verkehrsstörung und ist somit eine geeignete Maßnahme.<br />
(2) Erforderli<strong>ch</strong>keit<br />
Es dürfte au<strong>ch</strong> kein milderes Mittel geben, das glei<strong>ch</strong> wirksam den Zweck verwirkli<strong>ch</strong>t.<br />
Hier wäre an eine Änderung der Mars<strong>ch</strong>route oder Veranstaltungszeit<br />
zu denken. Allerdings s<strong>ch</strong>eiden Wegalternativen zur Mainuferstraße na<strong>ch</strong> Aussage<br />
der Behörde aus. Au<strong>ch</strong> müßte der Umzug jedenfalls tagsüber stattfinden,<br />
stünde also immer in Konkurrenz mit dem Straßenverkehr. Die einzige Alternative<br />
zu einem Verbot läge in einer zeitli<strong>ch</strong>en oder örtli<strong>ch</strong>en Vers<strong>ch</strong>iebung,<br />
die allerdings ni<strong>ch</strong>t als milderes Mittel für den Grundre<strong>ch</strong>tsträger F anzusehen<br />
ist. Folgli<strong>ch</strong> war das Verbot erforderli<strong>ch</strong>.<br />
(3) Angemessenheit<br />
S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> dürfte das Verbot ni<strong>ch</strong>t außer Verhältnis zum Zweck der Vermeidung<br />
von Verkehrsbehinderungen stehen.<br />
Für eine Angemessenheit des Verbots spri<strong>ch</strong>t, daß die Prognose von Verkehrsbehinderungen<br />
si<strong>ch</strong> auf Erfahrungen in der Vergangenheit stützen kann, so<br />
daß au<strong>ch</strong> für den jetzt geplanten Festungsumzug wieder mit Störungen zu re<strong>ch</strong>nen<br />
ist. Verkehrsbehinderungen beeinträ<strong>ch</strong>tigen die allgemeine Handlungsfreiheit<br />
anderer Straßenbenutzer; deren Interesse an der Lei<strong>ch</strong>tigkeit und Si<strong>ch</strong>erheit<br />
des Verkehrs ist darum grundsätzli<strong>ch</strong> abwägungsrelevant. Außerdem handelt es<br />
si<strong>ch</strong> um eine bloße Unterhaltungsveranstaltung, die jedenfalls ni<strong>ch</strong>t zu denjenigen<br />
Versammlungen gehört, die die Versammlungsfreiheit des Art. 8 I GG wegen<br />
ihrer engen Beziehung zur kollektiven Meinungskundgabe zu einem unentbehrli<strong>ch</strong>en<br />
und grundlegenden Funktionselement eines demokratis<strong>ch</strong>en Gemeinwesens<br />
ma<strong>ch</strong>en.<br />
Vgl. BVerfGE 69, 315 [344 f., 347] - Brokdorf<br />
Jedo<strong>ch</strong> überwiegen die Gründe, die gegen eine Angemessenheit des Verbots<br />
spre<strong>ch</strong>en. Zunä<strong>ch</strong>st können au<strong>ch</strong> bloß unterhaltende Kulturveranstaltungen für<br />
den individuellen und kollektiven Freiheitsgebrau<strong>ch</strong> ein erhebli<strong>ch</strong>es Gewi<strong>ch</strong>t für<br />
die individuelle Entfaltung und kollektive Meinungsäußerung haben. Wenn sie<br />
deshalb in den grundre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>utz einbezogen werden, dann kann ni<strong>ch</strong>t<br />
andererseits jede no<strong>ch</strong> so kleine Behinderung des Verkehrs als Verbotsgrund genügen.<br />
Aus bloßen verkehrste<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Gründen kommen Versammlungsverbote<br />
s<strong>ch</strong>on deshalb kaum in Betra<strong>ch</strong>t, weil in aller Regel ein Nebeneinander der<br />
Straßenbenutzung dur<strong>ch</strong> Demonstranten und fließenden Verkehr errei<strong>ch</strong>bar ist.