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Ivan Dobnik - Vilenica

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224 · Angelika Reitzer<br />

unter uns<br />

(Auszug)<br />

01<br />

Die Alten schlendern über das Feld, eine unauffällige Choreographie, wirkungsvoll.<br />

Klärchen hat sich bei ihrer Schwester untergehängt, die zwei<br />

tragen Westen oder Pullover in derselben Farbe, und es sieht so aus, als<br />

seien sie gemeinsam beim Friseur gewesen. Sie haben ihre Brillen abgenommen,<br />

da ist die Ähnlichkeit besonders deutlich. Knapp hinter ihnen<br />

der alte Herr mit den Zwillingen. Längst erwachsen, aber bubenhaft wie<br />

immer. Ihre Scheitel leuchten ihr entgegen, von weitem schon zeigen sie<br />

etwas wie einen Weg oder eine Richtung an oder den Lichteinfall zumindest.<br />

Sie spazieren, Hände in den Hosentaschen; wie immer im Gleichschritt,<br />

wie immer würden sie ihre Antworten halbwegs synchron geben.<br />

Wie immer sind sie wie immer, das ist ihr ganzes Leben schon so. Der<br />

Vater schreitet übers gestutzte Gras, sein Bauch ist nur mehr sehr groß, er<br />

hat viel Gewicht verloren. Rehe, die nach einer Aufführung langsam aus<br />

dem Wald hervorkommen, das Publikum Clarissa. Zufrieden mit ihrer<br />

Leistung verzichten sie darauf, sich zu verbeugen. Sie gruppieren sich um<br />

die Gartenmöbel, die hinter und unter ihnen verschwinden. Onkel Heinz<br />

steht hinter Klärchen, er hat seine Hand auf ihrer violetten Schulter abgelegt.<br />

So würde sie es sagen: fliederfarben, mein Schatz, ja? Flieder.<br />

Clarissas Chauffeur hat die Seiten gewechselt, er ist in den Rahmen hineingestiegen,<br />

hat sich hinten seinen Platz gesucht. Aber vielleicht ist es<br />

genau umgekehrt, das viel eher. Er ist nur kurz aus dem Bild gefallen, tut<br />

immer, was man von ihm verlangt, und Seiten wechseln, das geht am allereinfachsten.<br />

Er ist zur Stelle. Während Clarissa aus dem Zug steigt, läutet<br />

ihr Telefon. Der Zug war voll, und dann ist der Bahnsteig voll, die Menschen<br />

strömen in Richtung Ausgang, ziehen ihre Koffer hinter sich her, der<br />

ganze Bahnsteig eine drängende, lärmende Masse, in der jeder Einzelne<br />

auf seiner Spur beharrt, weshalb alle einander in die Quere kommen, die<br />

Eile lässt sie langsamer vorankommen. Clarissa kramt in ihrer Tasche, geht<br />

weiter, das heißt, sie wird weiter geschoben. Sie trägt ihre lederne Reisetasche<br />

über der Schulter und über der Reisetasche die Handtasche, das ist<br />

unbequem, und lässt sie schief gehen, weil die Tasche schwer ist und sie<br />

ist unförmig und kann nicht abschätzen, wie viel Platz sie braucht. Gerne<br />

würde sie so tun, als sei das immer noch Routine, lästig, aber bekannt, an<br />

den nächsten Termin denken, an die Leute, die bei der Besprechung dabei<br />

sein werden, an ihre Präsentation und daran, dass alle Unterlagen sauber<br />

und in der korrekten Reihenfolge in der Mappe aus Rindsleder bereitliegen.<br />

Es ist immer dasselbe, sie findet das Telefon nicht und ärgert sich,<br />

denn wer in diesem Augenblick anruft, das weiß sie schon. Dann findet<br />

sie das Telefon, das nicht mehr läutet, in einem Buch, ganz unten in der<br />

Tasche, und ihre Ahnung wird bestätigt, natürlich, und dann rutscht ihr

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