15.11.2012 Views

Ivan Dobnik - Vilenica

Ivan Dobnik - Vilenica

Ivan Dobnik - Vilenica

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

Angelika Reitzer · 225<br />

die Tasche über die Schulter, sie wird noch zorniger und muss an sich denken<br />

als eine Slapsticknummer, und ob die Leute um sie herum die Stirn<br />

runzeln oder lachen oder an ihr vorbeischauen, will sie gar nicht sehen.<br />

Am Bahnsteig steht der Anrufer, sie haben sich gut zwei Jahre nicht gesehen,<br />

begrüßen sich mit einem Handschlag. Erstaunt sagt er: du siehst ja<br />

richtig gut aus. Sie fahren zusammen in das Landgasthaus, in dem das Fest<br />

stattfindet. Im Auto will er sein Erstaunen wieder zurücknehmen, aber<br />

das geht jetzt nicht mehr. Clarissa fühlte sich doch gut. Einigermaßen. Er<br />

meint es nicht so, sicher nicht. Die Haut fühlt sich aber gleich pickelig an,<br />

sie weiß genau, an welchen Stellen sie mehr Schminke aufgetragen hat,<br />

und sie spürt an dem Brennen am Kinn, bestimmt ist da ein großer roter<br />

Fleck, trotz Make-up. Er dreht an seinem Radio herum, will jemanden<br />

anrufen, den er nicht erreicht. Nachricht hinterlässt er keine. Die Haare<br />

sind strähnig, obwohl sie sie direkt vor der Abfahrt gewaschen und geföhnt<br />

hat. Vielleicht hätte sie ein Kleid anziehen sollen. Vielleicht sollte sie sich<br />

nach der Ankunft sofort umziehen. Als Clarissa den Sender wechselt, ohne<br />

ihn zu fragen, schaut er sie einen Moment erschrocken an. Dann grinst<br />

er. Er redet von Arbeit, von den vielen Terminen, von der Verantwortung<br />

und der Last auf den Schultern, und als sie aussteigen, denkt Clarissa auf<br />

einmal, dass er vielleicht ihre Arbeit meint, und das verwirrte sie zuerst,<br />

und als sie ihn darauf anredet, vorsichtig, wie nebenbei, schieb er ihr ein<br />

kleines Mäppchen zu mit Informationen über die Gegend und ihre spärlichen<br />

Sehenswürdigkeiten, einem Faltblatt mit den Programmpunkten<br />

der Zusammenkunft; kurz ist sie beruhigt, als wüsste sie Bescheid, als<br />

würde sie das kennen, was jetzt kommt. Clarissa will ihn nach der Teilnehmerliste<br />

fragen, lässt es bleiben. Punkt eins (individuelles Eintreffen)<br />

und Punkt zwei (kleiner Spaziergang in den nahe gelegenen Föhrenwald,<br />

Kennenlernen und Wiederaufnahme der familiären Beziehungen) liegen<br />

schon hinter ihnen. Aber Abendessen, Schifffahrt, Volleyballspiel, Freizeit<br />

in Hallenbad und Sauna stehen noch bevor, und ihr Chauffeur nimmt<br />

jetzt ihre Hand und lacht ihr breit entgegen und ihre Köpfe stoßen zusammen.<br />

Es ist immer noch so, dass er einem hilft, aber übrig bleibt nur<br />

ein Gefühl der Störung. Ihr Chauffeur schaut sie an, und ernst nimmt er<br />

ihre Tasche, er ist ihr Portier jetzt, und wenn sie ihn fragen würde, würde<br />

er in die fremde Küche gehen und ein Brot für sie holen oder einen Saft<br />

oder ein Stück Kuchen aus der abgesperrten Vitrine undsoweiter. Er trägt<br />

ihre Tasche nach oben und zieht sie hinter sich her, gleich lässt er die Hand<br />

wieder los, und früher war es ja auch so, dass er immer alles für alle tat,<br />

und niemand dankte es ihm, und er machte einfach weiter, und manchmal<br />

erinnerte er einen an eine größere Tat und wer dann ein schlechtes Gewissen<br />

hatte, das war er. Aber dafür kann er einen auch kränken und so tun,<br />

als würde er es nicht bemerken, als würde ihm das gar nicht auffallen, dass<br />

er einen gerade richtig beleidigt hat. Er kann sein breites Gesicht mit einem<br />

Grinsen oder auch mit vollkommener Harmlosigkeit ausstatten, das

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!