Die Seele Chinas - Chinaseiten
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esonderes Zeichen hat. Für die gesprochene Sprache aber entsteht die Möglichkeit der<br />
Verwechslung, da viele Zeichen gleich gesprochen werden. <strong>Die</strong> Sprache ist daher auf<br />
den Ausweg gekommen, durch die Art der Intonation die verschiedenen gleichlautenden<br />
Silben zu unterscheiden. So heißt z. B. Hao in fragendem Ton gesprochen »schön« und<br />
in befehlendem Ton gesprochen »lieben«. Dennoch kommen Mißverständnisse nicht<br />
selten vor. Im schlimmsten Fall schreibt man die Worte entweder mit Bleistift auf Papier<br />
oder mit dem Finger in die Hand.<br />
<strong>Die</strong> neue chinesische Schrift und Umgangssprache ist übrigens so geartet, daß solche<br />
Mißverständnisse viel weniger vorkommen als früher.<br />
<strong>Die</strong> alten chinesischen Schulen waren in den letzten Jahrhunderten immer mehr in<br />
einen äußerlichen Betrieb hineingekommen, durch den hauptsächlich die rein<br />
gedächtnismäßigen Fähigkeiten der Schüler entwickelt wurden. Der Unterricht<br />
beschränkte sich im wesentlichen auf literarische und geschichtliche Fächer. Aber auch<br />
die alte Weisheitsliteratur wurde vielfach einfach vom Gesichtspunkt ihrer<br />
Verwendbarkeit für die Prüfungen aus behandelt. <strong>Die</strong> Prüfungen aber waren seit der<br />
Mingzeit immer mehr ins rein formalistische Fahrwasser gekommen. Eine feste<br />
Aufsatzform, die aus acht Teilen bestand - in großer Ähnlichkeit mit der früher auch in<br />
Europa üblichen Form der Chrie - war das Schema, in das die Behandlung der den vier<br />
heiligen Büchern entnommenen Themata gepreßt wurde. Wer dieses Schema gewandt<br />
und geistvoll zu handhaben wußte, bestand sein Examen, auch wenn die Gedanken<br />
ganz an der Oberfläche blieben. Oft kam es natürlich auch vor, daß bei den Prüfungen<br />
betrogen wurde. Es gab kleine Bücher mit allen möglichen Aufsätzen, die man im Ärmel<br />
verschwinden lassen konnte, und die in winzigem Druck ein Kompendium des gesamten<br />
Examenspensums enthielten. Es galt nur im Register jeweils das richtige Thema<br />
aufzuschlagen. Griff man daneben, so konnte man den schönsten Aufsatz machen und<br />
fiel dennoch durch. Das großartigste in dieser Art war ein schöner seidener<br />
Examensmantel, dessen weißseidenes Futter von oben bis unten eng mit<br />
Examensaufsätzen beschrieben war. Ein Taschentuch, das ihm beigegeben war,<br />
enthielt das Inhalts- und das Ortsverzeichnis der betreffenden Aufsätze. Ein kurzes<br />
Unwohlsein genügte, um sich an einem stillen Plätzchen den betreffenden Ort aus dem<br />
Futter zu schneiden und mit Glanz die Prüfung zu bestehen - falls man nicht erwischt<br />
wurde. Im allgemeinen kann man wohl sagen, daß das Gebot »Du sollst dich nicht<br />
erwischen lassen« mit großer Gewissenhaftigkeit in China befolgt wurde.<br />
Bei diesen Umständen hatte der Lehrer einer Dorfschule ein ziemlich behagliches<br />
Dasein. In seiner Haushaltung hatte er stets die Arbeitskräfte der Schüler zur<br />
Verfügung, und das Lernen mußten die Schüler auch selbst besorgen. Er hörte nur zu<br />
und züchtigte die Faulen mit dem Lineal. Gar oft an heißen Tagen kam es vor, daß der<br />
Lehrer fest schlief wie ein Schöffe bei einer Gerichtsverhandlung. Oft auch hatte er eine<br />
Kanne Schnaps neben sich stehen, den er allmählich in kleinen Täßchen verschwinden<br />
ließ. Von Zeit zu Zeit prügelte er wohl auch einen Schüler, um sich munter zu erhalten.<br />
Wenn er aber dann doch zum Opfer fiel, so dauerte es oft lange, bis die lautlernenden<br />
Schüler es merkten, wie die alten Heiden oft noch lange ihren Göttern opferten,<br />
nachdem sie schon gestorben waren.<br />
So war es denn eine wirkliche Notwendigkeit, daß das gesamte Schulwesen auf eine<br />
gesunde Grundlage gesetzt wurde. <strong>Die</strong>s geschah dadurch, daß man die Prüfungen<br />
abschaffte, und statt dessen öffentliche Schulen mit festen Lehrplänen einführte. Natürlich<br />
fehlte es an Lehrern. Man wandte sich zunächst an Japan, machte dabei aber nicht<br />
immer gute Erfahrungen, denn naturgemäß waren es nicht gerade die besten japani-<br />
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