Die Seele Chinas - Chinaseiten
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der man sich fügen muß. »Me yo fa tse« (mit Achselzucken gesprochen), d. h. »es läßt<br />
sich nichts machen«, oder »pu yao kin«, d.h. »es tut nichts«, sind die Auskünfte dem<br />
Unausweichlichen gegenüber.<br />
Ebenso gibt es keine wesentliche Tragik. Es gibt traurige Dinge, furchtbare Dinge, Folgen<br />
von Verfehlungen, die sich auswirken und die hätten vermieden werden können,<br />
wenn man nicht falsch gehandelt hätte. Natürlich treffen solche Schicksalsschläge auch<br />
Unschuldige mit, die mit dem Frevler schicksalsverbunden sind. Aber die innere Entzweiung<br />
des Weltgrunds, die im Helden und seinem Gegenspieler notwendige Verkettungen<br />
von Schuld und Sühne schafft, gibt es deshalb nicht, weil die Pflichtenskala nicht<br />
auf verschiedenen Grundlagen aufgebaut ist, sondern einen einheitlichen Zusammenhang<br />
bildet. Es gibt eine klare Reihe von Pflichten, die bei gutem Willen immer das<br />
Richtige zu wählen erlaubt.<br />
»Ich esse gerne Fische, ich esse gerne Bärentatzen. Wenn ich nicht beides haben kann,<br />
verzichte ich auf die Fische und halte mich an die Bärentatzen. Ich liebe das Leben, ich<br />
liebe die Pflicht. Wenn ich nicht beides vereinigen kann, so verzichte ich auf das Leben<br />
und halte mich an meine Pflicht.« Mit diesem Wort hat Mongtse diese feste und darum<br />
beruhigende Wertskala am besten bezeichnet. <strong>Die</strong>selbe positive Stellung zum Leben,<br />
die die Tragik ausschaltet, zeigt sich in der Allgewalt der Sitte. Es gibt für jede Situation<br />
ein richtiges Handeln. Wenn man es nicht trifft, so ist das nur die Sache der<br />
Unwissenheit, nicht eine tragische Notwendigkeit.<br />
Äußeres und Inneres sind in Harmonie zu setzen. Eine Gesinnung, ein guter Wille, der<br />
sich nicht auf die rechte Weise äußert, ist nicht wirklich gut. Darum auch das strenge<br />
Achten darauf, daß man keinem anderen eine Beschämung bereitet, und daß man<br />
selbst nicht »das Gesicht verliert«. Denn »Gesichtsverlust«, d. h. Beschämung ist nicht<br />
etwas Äußerliches, von dem man sich innerlich in Freiheit absondern kann, sondern<br />
etwas Wesentliches, was den ganzen Menschen betrifft. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht,<br />
daß dasselbe Wort den Leib und die Persönlichkeit bedeutet.<br />
Fassen wir zusammen, so finden wir, daß die chinesische Kultur ein Ideal zeigt, das<br />
wesentlich auf Harmonie eingestellt ist im Zusammenhang mit der Vernunft der Organisation<br />
in Kosmos und Gesellschaft. Darum ist das Leben auch des Geringsten verhältnismäßig<br />
glücklich und zufrieden, nicht angekränkelt von des Gedankens Blässe.<br />
Es ist selbstverständlich, daß diese Kultur gewisse wirtschaftliche, ja selbst geographische<br />
Verhältnisse zur Grundlage hat. Es ist die Kultur der Agrarform, und sie setzt voraus<br />
ein weites Gebiet, das bei richtiger Ansetzung der vorhandenen Produktionskräfte<br />
eine ausreichende Existenz ermöglicht. Sie setzt ferner voraus, daß die Spannungen<br />
innerhalb der Gesellschaft zwischen vornehm und gering, reich und arm nicht übermäßig<br />
sind, so daß sie durch Sitten und Standesordnungen geregelt werden können,<br />
indem die Reichen und Vornehmen soziale Verpflichtungen anerkennen und durch<br />
Familienbeziehung und Rücksichten mit den weiten Schichten des Volkes verbunden<br />
sind. Auch zwischen den Gesellschaftsschichten ist das Band nicht zerbrochen. Daher<br />
der instinktive Zusammenhalt aller Teile des Volkes, wenn es sich um Abwehr von Vergewaltigungen<br />
des Auslandes handelt. Wie diese Verpflichtung der Vornehmen sich<br />
auswirkt, davon konnte man anläßlich des großen japanischen Erdbebens ein schönes<br />
Beispiel sehen: die im chinesischen Denken erzogenen vornehmen Familien und Prinzen<br />
des kaiserlichen Hauses öffneten selbstverständlich ihre Parks und Paläste für die<br />
obdachlosen Flüchtlinge, die europäisch eingestellten Großkaufleute verrammelten ihre<br />
Türen und ließen sich durch Polizei bewachen.<br />
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