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Die Seele Chinas - Chinaseiten

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gend: »Nein, heute noch nicht, aber ich bin noch jung und habe es nicht so nötig. Ich<br />

finde schon noch etwas für mich.«<br />

Als vor mehreren Jahren in der Provinz Schantung ein betagter Bettler starb, da stellte<br />

sich heraus, daß er trotz seiner äußerst dürftigen Lebenshaltung ein recht beträchtliches<br />

Vermögen zusammengespart, buchstäblich vom Munde sich abgespart hatte. <strong>Die</strong>ses<br />

Vermögen bestimmte er durch eine hinterlassene Willenserklärung für eine Armenschule,<br />

damit wenigstens einige Kinder durch ihn noch nach seinem Tode gerettet werden<br />

von dem Los, ihr Leben auf den Straßen als Bettler zu verbringen.<br />

So ist es denn verständlich, wenn in den chinesischen Märchen und in der chinesischen<br />

Kunst gar oft alte Bettler von abstoßendem Äußeren im geheimen mächtige Zauberer<br />

und Weise sind, und wenn der große Magier Li T'iä Kuai die Erscheinung eines alten<br />

Krüppels borgte und sich nicht schämte, in dieser Form in der Gesellschaft der acht Seligen<br />

sich zu zeigen, in die er durch seine Zauberkräfte Aufnahme gefunden hat.<br />

Eine besondere Kategorie der Bettler sind die in China sehr zahlreichen Blinden. Sie<br />

zeichnen sich im Gegensatz zu den oft mißtrauischen und tückischen Tauben durch<br />

eine stille Sanftheit aus. Meist spielen sie eine Laute oder sonst ein Instrument, wenn<br />

sie durch die Straßen gehen, und verdienen sich dadurch eine Kleinigkeit. Sie haben in<br />

der einen Hand einen Stock, mit dem sie merkwürdig geschickt ihren Weg abtasten, in<br />

der anderen einen kleinen Glockengong, dessen regelmäßige Schläge Vorübergehende<br />

bitten, Platz zu machen für einen Blinden. Im allgemeinen begegnet man den Blinden<br />

auch mit Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Ich werde nie den Blinden vergessen, der<br />

in den Straßen von Sutschou an mir vorüberging. Es war Frühling, und er spielte auf<br />

einer kleinen chinesischen Geige, einem jener primitiven Instrumente, die aufrecht<br />

gehalten werden und zwischen deren beiden Saiten ein Bogen aus Pferdehaaren<br />

gewöhnlich schrille kreischende Töne hervorbringt.<br />

Ich bin schon manchmal gefragt worden, ob China auch Musik hat. Da fallen mir vielleicht<br />

die lärmenden Theater ein mit ihren Becken und Kastagnetten, oder die klimpernden<br />

Gitarren und die näselnden Töne der Geigen, die die Teehaussängerinnen begleiten,<br />

oder auch die klagende Herbstflöte über dem schilfbedeckten See. Aber das alles<br />

ist es nicht. Daß China Musik hat, weiß ich, seitdem ich den blinden Geiger gehört an<br />

jenem Frühlingsabend in der schönen Stadt Sutschou.<br />

Selbstverständlich sind auch in China nicht alle Bettler solche idealen Musikanten. In<br />

Peking sah ich einmal eine Szene, die in ihrer schauerlichen Komik fast an ein Bild vom<br />

Höllenbreughel erinnerte. Ich fuhr den weidenumsäumten Kanal entlang, der die Grenze<br />

der alten Kaiserstadt bildet. Beim früheren Tatarentempel, in der Nähe des<br />

Akazienwäldchens, in dem immer von Zeit zu Zeit die Geister der Erhängten ein neues<br />

Opfer fordern, das man eines Morgens an einem der Bäume hängen sieht, war ein<br />

Volksgewühl. <strong>Die</strong> Zeitungsjungen hatten ihre Zeitungen beiseite gelegt und sich<br />

herzugedrängt, andere Müßiggänger, die sich immer dichter zusammenballten,<br />

umgaben einen schimpfenden Knäuel, aus dem von Zeit zu Zeit Staubwolken<br />

aufstiegen. Als ich näher kam, sah ich einen blinden Bettler inmitten seiner Peiniger. Er<br />

war aus irgendwelchen Gründen mit ein paar Taugenichtsen in Streit geraten, die sich<br />

nun über ihn lustig machten, indem sie ihm immer von neuem Hände voll Straßenstaub<br />

ins Gesicht warfen. Der Blinde war in schäumender Wut. Weit riß er seine weißen,<br />

leeren Augen auf und schlug mit seinem Stab und seiner Gitarre tobend um sich.<br />

Lachend stob die Menge vor seinen Schlägen auseinander, und neue Staubwolken<br />

hüllten ihn ein. Mit kreischender Stimme verfluchte und beschimpfte er die<br />

Umstehenden. Aber seine unflätigen Schimpfreden wirkten in ihrer maßlosen<br />

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