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Die Seele Chinas - Chinaseiten

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Dreizehntes Kapitel<br />

Von Bettlern, <strong>Die</strong>ben und Räubern<br />

Mit Bettlern, <strong>Die</strong>ben und Räubern bin ich nicht sehr häufig in Berührung gekommen,<br />

aber meine Erfahrungen waren eigentlich alle verhältnismäßig erfreulich. Denn in China<br />

wird die Höflichkeit gegen Gäste und Fremde sehr hoch geschätzt, und man kann bis in<br />

die neueste Zeit beobachten, daß diese Ritterlichkeit, wenn sie auch nicht allein<br />

ausschlaggebend war, doch eine bedeutende Rolle im Verkehr auch dieser Leute mit<br />

den Fremden gespielt hat, solange sich nicht andere Gründe als noch dringender<br />

erwiesen.<br />

Natürlich sind die Gesellschaftsschichten, von denen hier die Rede ist, ebenso wie<br />

andere Stände in China wohl organisiert, doch disziplinierter als in Europa, wo häufig ein<br />

gewisser Konkurrenzneid zwischen den verschiedenen unterweltlichen Berufen zu herrschen<br />

scheint. <strong>Die</strong>se Organisation verlangt dann auch moralische Grundlagen. Schon<br />

der Philosoph Tschuangtse hat eine hübsche Geschichte von der Notwendigkeit moralischer<br />

Eigenschaften bei einem tüchtigen Räuberhauptmann.<br />

<strong>Die</strong> Gesellen des Räubers Tschï fragten ihn einmal und sprachen: »Braucht ein Räuber<br />

auch Moral?«<br />

Er antwortete ihnen: »Aber selbstverständlich! Ohne Moral kommt er nicht aus. Intuitiv<br />

erkennt er, wo etwas verborgen ist: das ist seine Größe; er muß zuerst hinein: das ist<br />

sein Mut; er muß zuletzt heraus: das ist sein Pflichtgefühl; er muß wissen, ob es geht<br />

oder nicht: das ist seine Weisheit; er muß gleichmäßig verteilen: das ist seine Güte. Es<br />

ist vollkommen ausgeschlossen, daß ein Mann, der es auch nur an einer dieser fünf<br />

Tugenden fehlen läßt, ein großer Räuber wird.«<br />

Aber ganz ernsthaft gesprochen muß man bekennen, daß die Zugehörigkeit zu dieser<br />

unteren anonymen Schicht der Ausgestoßenen des Lebens zwar gewisse seelische<br />

Bezirke, die für ein geordnetes gesellschaftliches Zusammenleben notwendig sind, verkümmern<br />

läßt, aber dennoch nicht alle besseren Gefühle des Menschen erstickt.<br />

Namentlich gilt dies von den Bettlern, die oft viel mehr durch äußere Verhältnisse, als<br />

durch eigene Bosheit aus der Gesellschaft herausgefallen sind. Das Familiensystem in<br />

China bewirkt, daß jeder Mensch in seiner Sippe einen festen Rückhalt hat, auf den er<br />

sich unter allen möglichen widrigen Schicksalen stets wird zurückziehen können. Aber<br />

anders stehen die Dinge, wenn durch Reisen in die Ferne, Epidemien, Wanderungen<br />

ganzer Dorfgemeinden in großen Hungerjahren dieser Zusammenhang mit der eigenen<br />

Sippe verloren geht. Wohltätigkeitsanstalten fehlen in China zwar keineswegs ganz.<br />

Aber die öffentliche Armenpflege ist bei weitem nicht so systematisch organisiert wie in<br />

Europa, eben weil der Zusammenhalt der Sippe sie in den meisten Fällen ersetzt. So<br />

haben denn die Ausgestoßenen ein bitteres Leben. Höchstens, daß sie da und dort ein<br />

Obdach finden. Für die Nahrung und die dürftigen Lumpen, mit denen sie ihre Blöße<br />

decken, müssen sie selbst sorgen. Ich war einmal in Tsinanfu in einem Armenhaus. Es<br />

war Winter, der Tag war kalt. In den Winkeln der rauchgeschwärzten düsteren Räume<br />

saßen die Unglücklichen zusammengedrängt, soweit sie nicht auf Bettelgängen<br />

auswärts waren. In der Mitte des Raumes schwelte in trüber Glut ein Kohlenfeuer, an<br />

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