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Die Seele Chinas - Chinaseiten

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ein Straßenzug, wenn er allzu tief einschnitt, verlassen und liegt dann als tiefe Schlucht<br />

da, während daneben eine neue Straße begonnen wurde. An manchen Stellen liegen<br />

drei und vier Straßenrinnen nebeneinander. <strong>Die</strong> Form der Gebirge ist seltsam. Es ist, als<br />

ob sich auf den Gipfeln steile Mauern erheben würden, am Fuß der Felsen finden sich<br />

häufig Höhlen, und es macht einen ganz seltsamen Eindruck, wenn man ganz tief unterhalb<br />

der Spitze durch eine solche Höhle den Himmel durchschimmern sieht.<br />

In Ningyang, einer Kreisstadt in der Nähe der Heimat des Konfuzius, machte ich noch<br />

einmal Rast. Der dortige Beamte war von früher her mit mir befreundet und freute sich<br />

sehr, mich in seinem Yamen beherbergen zu können. <strong>Die</strong> Landstraßen waren mit Akazien<br />

bepflanzt, die von Tsingtau aus ihren Weg ins Innere gefunden haben. Alles war<br />

gut im Stand und reinlich.<br />

Als wir kamen, war der Beamte noch in der Gerichtshalle beschäftigt. Das ist ein großer,<br />

offener Raum, in dem die Zivil- und Strafprozesse entschieden werden. <strong>Die</strong> Büttel<br />

stehen mit Prügeln umher. Angeklagte, Kläger und Zeugen knien vor dem Tisch, auf<br />

dem das große Amtssiegel steht und hinter dem der Beamte sitzt. Er verbreitet Furcht<br />

und Schrecken um sich. Wenn einer etwas sagt, das ihm nicht zu stimmen scheint, so<br />

schlägt er mit einem Brett auf den Tisch, was allgemeines Zittern hervorruft, da es<br />

immer vorkommen kann, daß dieser Drohung eine Bastonade folgt, um der Wahrheit auf<br />

die Spur zu kommen. Das Verfahren war im allgemeinen summarisch, weniger nach<br />

spitzfindigen juristischen Regeln, als nach dem gesunden Volksempfinden. Man kann<br />

wohl sagen, daß ein Prozeß immer für die Betroffenen etwas Schreckliches war wegen<br />

der Büttel und Schergen, die bei der Sache beteiligt waren, und die sich bei solchen<br />

Gelegenheiten schadlos zu halten wußten. Hat doch der Kaiser Kanghsi in seinem<br />

Heiligen Edikt selbst seine Untertanen vor den kaiserlichen Gerichten gewarnt! Aber<br />

trotzdem muß man anerkennen, daß ein tüchtiger Beamter im allgemeinen den<br />

Tatbestand sehr richtig feststellte und daß auch seine Urteile durchaus dem<br />

chinesischen Volksempfinden entsprachen. *<br />

<strong>Die</strong> Gerichtsverhandlung meines Bekannten war bald beendet, und im gemütlich eingerichteten<br />

Privatgemach, wo wir die Beendigung der Gerichtsverhandlung abgewartet<br />

hatten, begrüßte er uns.<br />

Wir wurden freundlich bewirtet und plauderten von früheren Zeiten. Es ist ganz unglaublich,<br />

was für ein Gedächtnis chinesische Beamte haben. Sie erinnern sich an jahrelang<br />

zurückliegende Gespräche mit allen Nebenumständen, wo wir Europäer höchstens noch<br />

verschwommene Allgemeinvorstellungen haben. Mein Freund fühlte sich an dem Ort<br />

nicht recht wohl. Er war etwas abgelegen, machte viel Arbeit und hatte wenig Einnahmen.<br />

Ich wußte schon, daß er nicht zufrieden war, denn beim Eintritt ins Yamen hatte<br />

ich an der Tür gegenüber der sogenannten Geistermauer, die sich vor dem Eingang als<br />

Schutzwand aufbaut, einen Spiegel hängen sehen. Das ist ein magischer Brauch, der<br />

bewirken soll, daß der Bewohner in seiner Laufbahn weiterkommt.<br />

Für meine Weiterreise war er mir von großer Hilfe. Er war mit dem Herzog K'ung in K'üfou,<br />

dem 73. Nachkommen des Meisters Konfuzius, persönlich befreundet. Er erzählte<br />

mir, daß dort eben ein großes Hochzeitsfest gefeiert werde, und sandte Briefe voraus,<br />

die mir eine Einladung zu dieser Hochzeit sicherstellten.<br />

* Gegenwärtig ist das alles anders. Moderne Gesetze und modernes Gerichtsverfahren sind in China<br />

eingeführt. Freilich ist die Durchführung noch gradweise verschieden. In den Städten mit fremder<br />

Bevölkerung kommt das chinesische Gerichtsverfahren dem europäischen sehr nahe, auf dem Lande ist<br />

es noch primitiver.<br />

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