Die Seele Chinas - Chinaseiten
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zweifelhafter Art finden. Sie beten und meditieren, dann gehen sie wieder hin und sündigen<br />
fröhlich weiter, denn sie wissen ja, daß der einfache Ausruf Amit'ofo wieder alle<br />
Seligkeiten herbeiruft. In dieselbe Richtung gehört es, daß die Vertreter des Buddhismus<br />
die verschiedenen spiritistischen und sonstigen okkultistischen Geheimsekten gefördert<br />
haben in ihrem oft sehr lichtscheuen Treiben. In diesen Beziehungen ist eine Reform<br />
des Buddhismus am Werk. Daß man dabei auch Anleihen beim Christentum macht,<br />
Jubiläumsfeiern christlicher Art abhält, Zeitschriften herausgibt, buddhistische<br />
Jünglingsvereine (Y. M. B. A.!) gründet, ist eine Auskunft, die wohl nicht sehr<br />
geschmackvoll ist, aber auch nicht zum eigentlichen Wesen der Sache gehört. Ganz<br />
ernsthafte Männer unter den Führern der Jugend sind der Meinung, daß, wie die<br />
Wiedergeburt Europas von der Wiederbelebung des Griechentums durch die<br />
Renaissance und die Wiederbelebung des Christentums durch die Reformation bewirkt<br />
worden sei, so auch das chinesische Rinascimento, von dem die heutige chinesische<br />
Jugend so viel redet, ebenfalls diese doppelte Wurzel haben müsse: auf ästhetischem<br />
Gebiet die Erneuerung der Literatur und Kunst und auf dem Gebiet der Weltanschauung<br />
eine Erneuerung des Buddhismus. Das Christentum liegt diesen Kreisen offenbar zu<br />
fern. Man bekämpft es nicht weiter, man hält es für eine in Europa selbst im Absterben<br />
begriffene Kraft, man ist der vielen Streitigkeiten müde, man hält seinen Standpunkt<br />
gegenüber den vielen neuen Fragen, die das geistige Leben beschäftigen, für veraltet.<br />
Man fällt nach Abwägen des Für und Wider das Urteil: »Weder Lob noch Tadel«. *<br />
Unter den Führern des neuen China muß hier auch der kürzlich verstorbene Sun Wen<br />
(Sun Yat Sen) genannt werden, der ebenfalls aus der Kantonprovinz, also dem äußersten<br />
Süden <strong>Chinas</strong>, stammt. Es ist anläßlich der chinesischen Revolution schon von ihm<br />
die Rede gewesen. Hier sei nur noch erwähnt, daß er in einem Werk großartige Pläne<br />
für die wirtschaftliche Ausgestaltung <strong>Chinas</strong> hinterlassen hat. Ein Netz von Eisenbahnen<br />
sollte ganz China überziehen. Große weltstädtische Hafenplätze sollten an der Küste<br />
geschaffen werden. ** Alles ist phantasievoll und großzügig, in Zahlen gedacht, die nur in<br />
Amerika ihre Parallele haben. Das Suggestive der Persönlichkeit Sun Yat Sens hat aber<br />
im allgemeinen nicht in seiner literarischen Arbeit gelegen. Sein wild bewegtes Leben<br />
voll Gefahr und Verfolgung schenkte ihm keine Zeit zu literarischer Vertiefung. Aber er<br />
war bedeutend als Sammlungsmittelpunkt. Er hat das Banner der Revolution<br />
hochgehalten, bis die Republik die Regierungsform <strong>Chinas</strong> geworden war. Nach dieser<br />
politischen Revolution wandte er sich dem Gedanken der sozialen Umbildung zu, je<br />
mehr er sah, daß mit der Umwandlung der Staatsform allein noch recht wenig getan<br />
war. Aber daß er es war, der auch den neuen Weg einschlug, bewirkte, daß die dem<br />
Neuen zustrebenden Kräfte einheitlich blieben. Er hat das soziale Empfinden des<br />
Bürgertums geweckt und es zum großen Teil mitgerissen auf die Bahn der sozialen<br />
Reformen. Daß heute Kaufleute, Studenten und Arbeiter eine einheitliche Masse bilden,<br />
daß auch die Soldaten im entscheidenden Moment mit dem Volk zusammengehen, ist<br />
die große Kraft des neuen China. <strong>Die</strong>ser ganz starke, einheitliche Geist hat die<br />
Gewißheit des Sieges in sich. So bedeutet der Name Sun Yat Sens für weite Kreise des<br />
chinesischen Volkes ein einigendes Symbol. Vielleicht wird diese Kraft nun, da er<br />
gestorben ist, noch größer werden, weil er zu Lebzeiten gerade in Kanton eine Menge<br />
* <strong>Die</strong>ses Urteil, das bedenklich an das Wort: »Ich weiß deine Werke, daß du weder kalt noch warm bist«<br />
aus Apoc. 3, 15 erinnert, spricht z. B. ganz unbefangen Liang K'i Tsch'ao in seiner »Geschichte der<br />
Wissenschaft während der Ts'ingdynastie« aus.<br />
** Vgl. Schen Yi und Stadelmann, China und sein Weltprogramm.<br />
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