Die Seele Chinas - Chinaseiten
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selbständigen Republik erklärt. Sie erließ aber eine Deklaration, daß sie darauf<br />
verzichte, die Unbilden, die sie von den Chinesen erlitten habe, zu rächen.<br />
»Schlaf nicht, schlafe nicht mehr!<br />
Es wiehern die Rosse<br />
Im Stall, die Knechte sind aufgewacht.«<br />
2.<br />
Yünkang, 3. September.<br />
Wir standen sehr früh, noch vor Tagesanbruch, auf und waren, als die Stadttore<br />
geöffnet wurden, schon unterwegs. Den Wagen mit dem Gepäck und die <strong>Die</strong>ner ließen<br />
wir nachkommen. Man betritt die Stadt Tat'ungfu durch das Nordtor. Brücken und Wege<br />
für modernen Verkehr sind im Bau. Das äußere Nordtor führt zunächst in einen großen,<br />
leeren Raum. Hier war in alten Zeiten, als Tat'ungfu für die Grenzwacht ein Platz von<br />
großer Bedeutung war, die Nordvorstadt. Ein Tempelbau an der Nordseite ist der<br />
einzige Rest aus jener Zeit. Jetzt ist der ganze Raum mit Feldern bebaut. Im Herbst wird<br />
er als Truppenübungsplatz benützt. <strong>Die</strong> Provinz Schansi hat einen sehr tüchtigen<br />
Gouverneur, der sich unter allen politischen Wechselfällen der letzten Jahre gehalten<br />
hat, und dessen Wirkung sich bis nach Tat'ungfu, das von der Provinzialhauptstadt<br />
T'aiyüanfu durch weite Gebirge getrennt ist, erstreckt. Manches mißlingt dabei wohl<br />
auch in der äußeren Erscheinung. Das alte Nordtor war baufällig. Um die Bewohner vor<br />
Lebensgefahr zu schützen, wurde es vermauert und daneben ein neues gebaut. Dabei<br />
aber wollte man modern sein. So entstand denn als Wächterhaus über dem Tor ein<br />
mehrstöckiges Gebäude von ausgesuchter, europäisierender Häßlichkeit. Da es weithin<br />
zu sehen ist, verleiht es der Stadt sein Gepräge. Warum diese Zeit doch mit<br />
Notwendigkeit sich durch Geschmacklosigkeit dokumentiert! Das Tor wird erst schön<br />
sein, wenn es gänzlich in Trümmern liegt. Dabei ist es so solide gebaut, ganz von jener<br />
soliden Häßlichkeit eines Berliner Hauses aus den achtziger Jahren! Wenn man solche<br />
Ungetüme sieht, da empfindet man die Anwesenheit des deutschen Architekten in<br />
Peking entschieden als kulturelle Wohltat, denn er war es, der durch seine Energie<br />
verhindert hat, daß das Osttor von Peking, das eingestürzt war, nach dem Vorbild des<br />
Brandenburger Tores wieder aufgebaut wurde, wozu man ihn als Deutschen besonders<br />
berufen erachtete.<br />
Am Tor standen freundliche Soldaten, die nach Namen und Herkunft fragten und uns mit<br />
guten Wünschen für die Reise passieren ließen. Nun kamen wir in die Stadt mit ihrem<br />
Leben, das noch ganz altchinesisch ist und wenig beeinflußt von der modernen Zeit. <strong>Die</strong><br />
Drachenfiguren auf den Dächern haben merkwürdige Hahnenkämme, wie sie sonst<br />
nicht zu sehen sind. Auf den Schornsteinen sitzen kleine tönerne Löwen, die dem<br />
aufsteigenden Rauch nachdenklich nachsehen. Dazwischen treibt sich auf dem<br />
Dachfirst ein wirklicher Hund herum, der den Katzen das Klettern abgelernt hat. <strong>Die</strong><br />
Fenster sind häufig mit Rundbogen überwölbt und mit feinen Ornamenten ausgestattet.<br />
Das Leben pulsiert in emsigem Betrieb. <strong>Die</strong> Schmiede stehen vor den Türen und<br />
hämmern ihr Eisen im Takt, daß es fast an die Schmiede der Nibelungen erinnert.<br />
Händler haben ihre Waren auf dem Boden ausgebreitet. Viel schönes Obst ist da, rote<br />
Äpfel, auch Pfirsiche und Melonen von allen Formen und Farben und langstielige<br />
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