Die Seele Chinas - Chinaseiten
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sprache geht im wesentlichen zurück auf die Sprache der letzten vorchristlichen Jahrhunderte.<br />
Damals hatte sich aus der manchmal noch etwas unbeholfenen<br />
vorklassischen Sprache und Schrift eine äußerst elegante, biegsame und doch klare<br />
Schriftsprache herausgebildet, die in den bekannteren Werken jener Zeit niedergelegt<br />
ist. <strong>Die</strong>se Schriftsprache hatte sich im wesentlichen durch die Jahrhunderte hindurch<br />
erhalten und wurde immer wieder bei neuen Kompositionen nachgebildet, auch dann<br />
noch, als die gesprochene Sprache längst eigene Wege gegangen war, und zwar so<br />
weit von der Schriftsprache abweichende, daß diese nicht mehr verstanden wurde,<br />
wenn man sie gelesen hörte, vielmehr das Schriftbild zum Verständnis unbedingt<br />
notwendig war. Schon seit der Zeit der Auseinanderentwicklung von Wort und Schrift<br />
gab es neben der Schriftsprache auch eine Literatur in der jeweils gesprochenen<br />
Sprache. Der berühmte Gelehrte Tschu Hsi in der Sungzeit hat z. B. seine Gespräche<br />
mit seinen Jüngern in der Umgangssprache herausgegeben. Außerdem kam eine<br />
volkstümliche Literatur von Dramen, Novellen und Romanen auf, die alle mehr oder<br />
weniger der Umgangssprache sich näherten. Aber diese ganze Literatur führte nur ein<br />
Dasein zweiten Ranges und galt nie als vollwertig.<br />
Nun kamen mit der neuen Zeit auch neue Bedürfnisse. Eine literarische Revolution fand<br />
statt, die mit den großen Bewegungen der Renaissance zu vergleichen ist, durch die die<br />
europäischen Nationalsprachen zu Schriftsprachen wurden. Man wollte eine Sprache,<br />
die wirklich den neuen Gedanken sich anpassen konnte und die leicht und allgemein<br />
verständlich war. <strong>Die</strong>se literarische Revolution fand ihren ersten Ausdruck in der Zeitschrift<br />
»<strong>Die</strong> neue Jugend«, die von dem Dekan der literarischen Fakultät an der<br />
Pekinger Reichsuniversität, Tsch'en Tu Hsiu, begründet worden war. <strong>Die</strong>se Zeitschrift<br />
vertrat politisch und sozial einen sehr weit links stehenden Standpunkt und in der<br />
Literatur den Standpunkt des Naturalismus. Ein hochbegabter junger Professor, Hu<br />
Schi, der von einem längeren Studienaufenthalt aus Amerika zurückgekehrt war und<br />
nicht nur geläufig englisch sprach und schrieb, sondern auch die pragmatische<br />
Philosophie Amerikas in sich aufgenommen hatte, entwarf in der Zeitschrift sein neues<br />
Programm und machte auch in einer ganzen Reihe von Publikationen wirklich Ernst mit<br />
dem Gebrauch dieser neuen Volkssprache. Eine Menge anderer Zeitschriften schloß<br />
sich an. Vorübergehend gab es über 400 Zeitschriften und Zeitungen, die in der<br />
Volkssprache geschrieben waren und die ihren Stoff hauptsächlich durch<br />
Übersetzungen aus fremden Sprachen bezogen. Selbstverständlich konnte sich eine so<br />
große Zahl auf die Dauer nicht halten. Ein großer Teil ging später wieder ein. Hu Schi<br />
veröffentlichte eine Aufsehen erregende Geschichte der chinesischen Philosophie, von<br />
der zunächst der erste Teil in der neuen Sprache erschien und so den Beweis<br />
erbrachte, daß diese Sprache auch für wissenschaftliche Werke ein biegsames und<br />
brauchbares Verständigungsmittel war.<br />
Ein Sturm des Widerspruchs erhob sich gegen diese Revolution. Man fühlte sich im<br />
Lager der Alten verletzt durch die rücksichtslose Volkstümlichkeit der neuen Sprache -<br />
wo war die Feinheit, wo der abgewogene Rhythmus, wo der versteckte Schillerglanz der<br />
zitatenreichen Sprache der Vergangenheit? Es war alles so klar, so unmittelbar, so<br />
offen, so gemein. Natürlich spielte bei dieser Opposition auch der Umstand eine Rolle,<br />
daß die literarische Revolution, ganz ähnlich wie die literarische Revolution in Europa<br />
am Ende des vorigen Jahrhunderts, mit großen sozialen und politischen Strömungen<br />
verbunden war. Tsch'en Tu Hsiu mußte aus Peking fliehen. Er begab sich in die<br />
Fremdenniederlassung von Schanghai, wo er eine Anzahl ziemlich radikaler<br />
Oppositionsblätter herausgab.<br />
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