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Die Seele Chinas - Chinaseiten

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schauung galt das Westliche für erstrebenswerter. <strong>Die</strong> Grundgedanken der chinesischen<br />

Philosophie wurden ebenso beiseite gesetzt wie der Zopf oder die heimische<br />

Kleidung. Man ging europäisch gekleidet, gab die Sitten und Gewohnheiten des täglichen<br />

Lebens auf und machte sich die pragmatisch utilitaristische Philosophie Amerikas<br />

für den Hausgebrauch zurecht. Alles schien auf eine Vereinfachung und Erleichterung<br />

herauszukommen. Während man z. B. zur Meisterschaft in der chinesischen Schrift<br />

wohl ein Jahrzehnt angestrengter Arbeit gebraucht hatte, lernte sich das europäische<br />

Alphabet bequem in vierzehn Tagen. Ähnlich ging es bei so vielen Reformen. <strong>Die</strong> alten,<br />

in der Mitte mit einem viereckigen Loch zum Aufreihen an einer Schnur versehenen<br />

Kupfermünzen waren gutes, vollwertiges Geld. Aber es war unmodern, eine Münze zu<br />

haben, die man an Schnüren aufreihte, und die zudem einen so geringen Nennwert<br />

besaß. Man schmolz die Münzen ein und goß aus je fünf von ihnen moderne, undurchlöcherte<br />

Geldstücke zu dem Nennwert von zehn Stück der früheren Art. Man wurde<br />

reich wie Hans im Glück. <strong>Die</strong> Folge war natürlich, daß sich allmählich die ganzen Preise<br />

entsprechend verteuerten, wodurch die Lebenshaltung des Volkes um ebensoviel herabgedrückt<br />

wurde. <strong>Die</strong>ser Hergang ist nur ein typisches Beispiel für die Erlebnisse, die<br />

China bei der Mechanisierung des Lebens machte. Man hörte auf, die chinesische Kultur<br />

in ihrer Höhenlage zu besitzen und drohte ein Europäer zweiten Ranges zu werden.<br />

Denn einerseits war die Seite der europäischen Kultur, die im abgekürzten Verfahren<br />

einer Schnellpresse angeeignet werden konnte, eben doch nur die oberflächlichste<br />

Außenseite. Andererseits hatte man übersehen, daß zwar eine große Zahl begeisterter<br />

Lobredner auf die europäische Kultur als Schrittmacher und Agenten dieser Kultur in<br />

China tätig waren, daß darum aber doch die alten europäischen Kulturstaaten keineswegs<br />

gewillt waren, das neue China als vollberechtigtes Mitglied in die Kulturgemeinschaft<br />

des Westens aufzunehmen. Es gab manche Einzelpersönlichkeiten und einzelne<br />

Staaten, die zu höflich waren, das unumwunden auszusprechen; aber die Tatsache<br />

blieb bestehen, daß z. B. in politischer Hinsicht kein Mensch etwa aus der Reform <strong>Chinas</strong><br />

die Konsequenz zog, China die Gerichtshoheit oder die Zollautonomie zuzugestehen.<br />

Man trieb zwar ein frivoles Spiel mit Versprechungen, aber im Grunde behandelte<br />

man China trotz alledem wie einen Negerstaat zweiter Güte; denn es gehört zur Struktur<br />

der europäischen Kulturpsyche, daß man zwar aus allen Kräften und mit allen Mitteln in<br />

außereuropäischen Ländern die Bedürfnisse der europäischen Kultur zu wecken sucht,<br />

aber bloß zum Zweck des besseren Absatzes. So war es durchaus erwünscht, wenn<br />

Negerhäuptlinge Zylinder trugen oder Chinesen Schildmützen, denn das gab einen<br />

guten Absatz der entsprechenden Waren. Aber man schätzte den Neger im Zylinderhut<br />

oder den Chinesen in der Schildmütze darum noch lange nicht als voll ein. Der Grund<br />

dafür war das imperialistische Gewaltprinzip, durch das Europa seine Herrschaft der<br />

ganzen Welt aufzwängte, und auf der anderen Seite der primitive Instinkt jedes Kulturkreises,<br />

das Andersartige als barbarisch zu verachten. So haben es schon die Griechen<br />

gemacht und nicht minder die Chinesen, als sie noch festgewurzelt in ihrer alten Kultur<br />

lebten.<br />

Aber für Jung-China ergab sich daraus eine tiefgehende Enttäuschung, die sich gerade<br />

der bedeutendsten Köpfe am stärksten bemächtigte. Japan hatte seinerzeit vor denselben<br />

Problemen gestanden. Dort hatte man die Zähne zusammengebissen, die Schmach<br />

erduldet und still, aber zäh am Ausbau einer starken Kriegsmacht zu Wasser und zu<br />

Lande gearbeitet, mit der man dann durch einige wuchtige Schläge der Welt eine<br />

wenigstens äußerliche Achtung abnötigte und den anderen asiatischen Staaten<br />

gegenüber sich aufs hohe Pferd setzen konnte. Aber Japans Psyche bekam dadurch<br />

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