Die Seele Chinas - Chinaseiten
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liegen ebenfalls in dieser Gegend. In der Straße des steinernen Prinzgemahls liegt die<br />
pädagogische Mädchenuniversität. An allen drei Anstalten hielt ich Vorlesungen und<br />
habe überall die besten Erfahrungen gemacht. Insbesondere fand ich auch die Studentinnen<br />
der Mädchenuniversität intelligent und interessiert und vollkommen auf der Höhe<br />
wissenschaftlichen Betriebs. Manche von ihnen sind - ebenso wie die Studenten - politisch<br />
etwas radikal, aber das ist ein Vorrecht der Jugend in vorwärtsschreitenden Nationen.<br />
Eigenartig ist übrigens, daß wohl die weiblichen Studenten das Recht haben,<br />
sämtliche Männeruniversitäten zu besuchen, dagegen an der pädagogischen Mädchenuniversität<br />
männliche Studenten nicht zugelassen sind. Infolgedessen ist zum mindesten<br />
in diesem Stück die Gleichberechtigung der Geschlechter in Peking eher<br />
zugunsten der Frauen verschoben. <strong>Die</strong> Frauenfrage wurde in China sehr leicht gelöst.<br />
Aus den strengsten Abhängigkeitsverhältnissen der patriarchalischen Ehe und Familie<br />
haben die jungen Mädchen den Weg zu Freiheit und geistiger Betätigung gefunden, viel<br />
leichter, als dies in unseren modernen Staaten vielfach der Fall war. Auch hier hat sich<br />
das Sprichwort bewährt: »<strong>Die</strong> Letzten werden die Ersten sein.«<br />
In der Weststadt sind in der Verborgenheit abgelegener Straßen uralte Gärten hinter<br />
Mauern versteckt. <strong>Die</strong> Bäume dieser Gärten überdachen mit ihren Zweigen die Höfe und<br />
Häuser, so daß mitten in der grellsten Sommerhitze hier schattige Kühle herrscht. Über<br />
moosige Stufen kommt man in stille Räume voll grüner Schattendämmerung. Nicht viele<br />
Menschen versammeln sich hier. Ein paar Freunde nur führen ein ruhiges Gespräch.<br />
Man betrachtet Bilder, spricht über ein paar Gedichte, bleibt vor einer Bronze stehen,<br />
gibt ein schönes altes Stück von Hand zu Hand und trinkt eine Schale Tee dazu. Solche<br />
Konversationen waren der Anfang zur japanischen Teezeremonie. Aber in Japan ist<br />
alles streng stilisiert, zu fester Form erstarrt. In China leben solche Unterhaltungen<br />
noch. Sie nehmen Gestalt an je nach den Menschen, die da sind, je nach den Tagen,<br />
die vorangegangen, je nach dem Wetter, nach der Stimmung. China hat es fertig<br />
gebracht, seine Sitten lebendig zu machen, sie sind ihm Kleider, die es trägt. In Japan<br />
sind die Sitten strenger, unfreier, die Höflichkeit hat nicht die Grenze der inneren<br />
Freiheit, und darum wirkt japanische Höflichkeit oft marionettenhaft, und man hält die<br />
Japaner für falsch. Man tut ihnen damit großes Unrecht. Ihre Strenge, ihre Selbstbeherrschung<br />
befiehlt ihnen zu grinsen, wenn das Herz blutet; denn ihr Zentrum liegt<br />
außer der Persönlichkeit: es ist der Staat, der Himmelsherrscher. Der Chinese aber,<br />
wenn er ein Edler ist, hat seinen Schwerpunkt in sich selbst. <strong>Die</strong> Sitte muß ihm dienen<br />
zum harmonischen Ausdruck seines Wesens. Nicht aber muß er der Sitte dienen zur<br />
Darstellung der ehernen Gesetze ihrer Form. Vielleicht ist diese feinste, höchste Freiheit,<br />
die Höflichkeit des Herzens, der Grund, warum man die Chinesen so lieben muß,<br />
wenn man sie kennt. Ein Chinese ist so liebenswürdig wie ein Franzose, aber er ist frei<br />
von dessen letzten Schranken absoluter Verankerung im Eigenen. Darum kennt er keinen<br />
Fanatismus. Der Chinese ist kindlicher als der Franzose, der vielleicht zu alt ist. *<br />
Zur Weststadt hinaus geht der Weg aufs Land. <strong>Die</strong> eine Straße führt zum Tempel der<br />
weißen Wolke. Das ist ein taoistisches Heiligtum. Hier fühlt man, daß der Taoismus<br />
doch noch etwas Lebendiges ist. Hier ist nicht Laotse der magische Gott, sondern Männer<br />
aus späteren Zeiten haben hier gelebt, die es erreicht haben, durch mystische<br />
Schau das innere Leben zu erlangen. Ein geheimnisvolles Bild wird hier aufbewahrt; das<br />
zeigt die Kraftzentren des Menschen in symbolischer Darstellung, die mit verschiedenen<br />
* Es gibt auch ein junges Frankreich, von dem hier nicht geredet wird, das voll ist von Zukunft und<br />
Hoffnung.<br />
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