Die Seele Chinas - Chinaseiten
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Neunzehntes Kapitel<br />
Gesellschaftliches Treiben<br />
Der gesellschaftliche Verkehr in China ist wie der antike Verkehr aller patriarchalisch<br />
organisierten Völker bis in die neueste Zeit ausschließlich Männerverkehr. <strong>Die</strong> Frauen<br />
walteten im Innern des Hauses, besuchten sich gegenseitig, tauschten ihre Erlebnisse<br />
und Ansichten aus, aber sie gingen nicht mit ihren Gatten und Vätern gemeinsam zu<br />
Gesellschaften. Eine Durchbrechung dieser Sitte fand nur statt bei Tempelbesuchen und<br />
Theatervorstellungen, auch bei Messen und Märkten kam es zuweilen vor, daß Frauen<br />
und Mädchen mit ihren <strong>Die</strong>nerinnen sich gelegentlich zeigten. Aber auch diese<br />
Ausnahmen waren wohl mehr geduldet als gewünscht. Selbst gute Freunde kannten<br />
gegenseitig kaum ihre Frauen; nur bei den Mandschus herrschte in dieser Beziehung<br />
mehr Freiheit. Durch diese Sonderung der Geschlechter bekam natürlich der ganze<br />
öffentliche Gesellschaftsverkehr seinen Charakter. Er war ungezwungen, gelegentlich<br />
ließ man sich etwas gehen, mancher fühlte sich erleichtert, wenn er der leitenden Hand<br />
der Gattin entronnen war; denn in China kommen trotz des herrschenden Patriarchats<br />
gelegentliche inoffizielle Rückfälle in ein gemäßigtes Matriarchat vor, die von dem<br />
Betroffenen meist sehr deutlich empfunden werden, wenn sie auch nach außen hin nicht<br />
hervorzutreten pflegen. Man kann jedoch nicht sagen, daß der gesellschaftliche Verkehr<br />
in gebildeten Kreisen unbeherrscht oder unfein wäre. Dazu wird er viel zu sehr geleitet<br />
und geordnet von den Regeln einer Sitte, die ohne lästige Formalitäten äußerer Art doch<br />
für alle Lebenslagen das Richtige nahelegt.<br />
Mit den erwähnten Verhältnissen hängt es auch zusammen, daß der Gesellschaftsverkehr<br />
gewöhnlich nicht in den Privatwohnungen vor sich geht, sondern in Räumen von<br />
mehr oder weniger öffentlicher Art. Es gibt in Peking z. B. einige Klubgebäude, meist<br />
alte Prinzenpaläste oder sonstige vornehme Anwesen mit Gärten und Hallen, in denen<br />
man sich im Gespräch ergehen kann. Da bei den großen Entfernungen sich die Sitte<br />
herausgebildet hat, daß die Stunde der Einladung nie peinlich genau genommen wird,<br />
so hat man vor Beginn der Mahlzeit reichlich Zeit zu allen möglichen Unterhaltungen.<br />
Aber nicht nur solche Klubräume werden verwendet. Man kann auch die Räume eines<br />
Freundes entlehnen, der geeigneten Platz hat, oder stille Pavillons in einem der öffentlichen<br />
Gärten oder auch Räume in einem der größeren Restaurants der Hauptstadt. Man<br />
findet da stets geschlossene Säle, die in besonderen Höfen liegen, so daß jede Gesellschaft<br />
vollkommen ungestört für sich ist. Ein Wirtschaftsbetrieb wie in Europa, da man in<br />
einem großen Lokal herumsitzt, womöglich zwei verschiedene Kreise an einem Tisch,<br />
würde in China als roh und lästig empfunden; denn man kommt ja nicht nur zusammen<br />
zur gemeinsamen Betätigung des Ernährungsvorganges, sondern eine gutausgewählte<br />
und aufeinander abgestimmte Gesellschaft soll jedesmal ein kleines Kunstwerk geselligen<br />
Zusammenseins bilden. Darum ist man sorgfältig bedacht, bei der Auswahl der<br />
Gäste harmonisch vorzugehen. Man bittet nur Menschen, die zusammenklingen, die<br />
sich etwas zu bieten haben. Es sollen darum nicht zu viele sein, weil sonst die Gemeinsamkeit<br />
leicht in Einzelunterhaltungen auseinanderfällt, auch nicht zu wenige, weil dabei<br />
auch leicht der eine oder der andere aus der Gruppe fällt. Meist hält man sich in der<br />
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