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Die Seele Chinas - Chinaseiten

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senen Ufer eines einsamen Sees herübertönt. Ich vergesse nie, mit welcher Leidenschaft<br />

der chinesische Dichter, der aus Europa zurückkehrte, den kleinen Felsenhügel<br />

begrüßt hat, der über die Reisfelder seines Heimatdorfes aufsteigt, wie er ausbrach<br />

beim Anblick der frühlingsgrünenden Felder. »Hier bin ich geworden. Hier ist die Erde<br />

und das Wasser, die meinen Leib bilden, und die mich einigen mit den vergangenen<br />

Geschlechtern der Väter!« So hätte ein Mann aus dem Norden nicht gesprochen. Hier<br />

lebt der Geist des Tschuangtse, der einst seinen berühmten Schmetterlingstraum<br />

geträumt.<br />

In alten Sagen wird der Ursprung der Musik erzählt: <strong>Die</strong> östliche Musik ist entstanden<br />

aus der Klage über ein tragisches Schicksal, die westliche aus Heimweh, die nördliche<br />

aus dem Lied der Mädchen an die Schwalbe, die fortgeflogen. <strong>Die</strong> Musik des Südens<br />

aber entstand aus dem ersten Liebeslied, das das Mädchen vom Erdhügel, das der<br />

große Yü geminnt, gesungen hat, als sie auf ihren Geliebten wartete, der seine große<br />

Arbeit vollbrachte, um die Wasser auf Erden in ihre Bahnen zu leiten. <strong>Die</strong>ses Liebeslied<br />

ist bezeichnend für die zärtliche Stimmung, die über Gegend und Menschen liegt. Hier<br />

ist das Land, wo die gewaltigen Bilder einer starken Phantasie in die chinesische Poesie<br />

einströmten, ihre strenge Form zerbrachen und in dythirambischen Rhythmen sich<br />

ergossen. Hier ist das Land der stillen, hohen Mystik des Einswerdens mit Himmel und<br />

Erde, aber auch der radikalen Denker, die sich nicht scheuen, die Konsequenzen ihrer<br />

Gedanken zu ziehen, bis in ihre letzten Verzweigungen hinein. <strong>Die</strong> Menschen sind heiterer,<br />

freier, freundlicher als im Norden, aber vielleicht nicht so ernst und fest. Hier<br />

schenkt die Natur ihre Blumen und Früchte, Schönheit und Wohlstand sind hier zu<br />

Haus.<br />

2.<br />

Am Westsee bei Hangtschou<br />

Im Juli.<br />

Es ist eigentlich ein entsetzlicher Gedanke, ein häßliches Hotel im Schanghaier Mietskasernenstil<br />

hier an den Westsee zu setzen. Es ist nicht einmal das einzige. <strong>Die</strong>se<br />

Auswüchse moderner Fremdenindustrie wirken umso geschmackloser, als sie hier<br />

unmittelbar sich den Spuren einen hohen Kultur gegenüberfinden. Aber das ist das Los<br />

der Stadt am Ts'iänt'ang-Fluß, daß manche Stürme schon über sie hinweggefegt sind:<br />

erst der Mongolensturm, der der Märchenherrlichkeit der Sung ein Ende machte, dann<br />

der Mandschusturm, der hier eine Garnison der fremden Eroberer stationierte, dann die<br />

Revolution der Taipings, die fürchterlich hausten mit Sengen und Brennen, dann die<br />

Revolution von 1911, die mit der Mandschustadt ein Ende machte und an ihrer Stelle<br />

eine moderne Handelsniederlassung mit breiten modernen Straßen, mit Industrieausstellungen,<br />

Kinos und Jünglingsvereinen begründete, die Hotelgesellschaften ins Leben<br />

rief und gemeine Backsteinhäuser an den See stellte, wie das »allerneueste Hotel«, in<br />

dem uns die Rikschas nach einer beinahe einstündigen Regenfahrt abgesetzt haben.<br />

Ein Hotel zweiter Güte, in dem man das pseudoeuropäische Essen bekommt, das hier<br />

im Osten üblich ist, und wo Unreinlichkeit mit geschmackloser Einfachheit im Kampf<br />

liegt. Das soll nun der Westsee sein, dieses Paradies aller Sagen und Märchen? Es ist<br />

entsetzlich. <strong>Die</strong> Schornsteine der Fabriken dahinten sehen nicht schöner aus als die<br />

Schornsteine am Ufer des Rheins, die statt der alten Burgen sich neuerdings in seinen<br />

Fluten spiegeln.<br />

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