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Die Seele Chinas - Chinaseiten

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Man ist in China nicht gewillt, durch alle Phasen des kapitalistischen Industrialismus, der<br />

so viel Not über Europa gebracht hat, in derselben Weise hindurchzugehen, wie Europa<br />

das mußte. Man hat die Gunst der zeitlichen Situation. Seit es ein bolschewistisches<br />

Rußland gibt, ist eine so grauenhafte Entmenschlichung des Proletariats, wie sie Europa<br />

im 19. Jahrhundert gesehen hat, moralisch nicht mehr möglich. Auch steht der Arbeiter<br />

in China der Ausbeutung durch das Unternehmertum nicht so wehrlos gegenüber, wie<br />

das in Europa beim unvorhergesehenen Hereinbrechen der Maschinen und ihrer Folgen<br />

der Fall gewesen war. China hat aus seiner Vergangenheit die Fähigkeit ererbt, sich zu<br />

organisieren. <strong>Die</strong> Kaufmanns- und Handwerkergilden der Städte sind etwas, was noch<br />

durchaus lebensvoll ist. <strong>Die</strong>se Organisationen sind eine Frucht der auf<br />

Familienzusammenschluß beruhenden dörflichen Verwaltungsorganisation. Sie bilden<br />

den Keim für eine gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterschaft. Dazu kommt, daß<br />

die Arbeiter in China nicht wehrlos und verlassen in einem dumpfen Elend ringen müssen.<br />

Sie finden Leitung, Unterstützung und moralische Förderung durch die Studenten,<br />

deren Solidaritätsgefühl mit dem kämpfenden Proletariat so stark ist, daß sie mit ihm<br />

Schulter an Schulter stehen.<br />

Für alle diese Aufgaben finden sich Lösungen im Geist der alten chinesischen Tradition.<br />

Je mehr man skeptisch geworden ist gegenüber dem alleinseligmachenden Evangelium<br />

Europas, desto mehr besinnt man sich auf das Gute, das die eigene Vergangenheit<br />

gezeitigt hat, und greift darauf zurück. <strong>Die</strong> Vertreter Jung-<strong>Chinas</strong> haben die Riesenaufgabe<br />

auf sich genommen, sachlich zu untersuchen und zu prüfen, was vom Eigenen,<br />

was vom Fremden gut und brauchbar ist, und sich zu einer neuen Kultursynthese<br />

zusammenschmelzen läßt.<br />

Fragen wir nun, was Europa ihnen für ihre Lage zu bieten hat. Wir reden nicht vom<br />

Technischen. Das ist heute keine Frage mehr. Das ist auch nicht mehr europäisches<br />

Sondergut. <strong>Die</strong> Revolution, die heute von Tokio bis Fez gegen Europas Übermacht im<br />

Gange ist, stützt sich durchaus auf europäische Technik. <strong>Die</strong>se Technik würde wohl<br />

auch wenn nicht schon heute, so doch sicher in zwanzig Jahren - Besitztum der<br />

Menschheit bleiben, auch wenn die europäische Rasse aus der Kulturarbeit der<br />

Menschheit ausschalten würde. Aber für unsere Fragestellung handelt es sich um etwas<br />

Tieferes. Wir sind der Überzeugung, daß Europa die übrigen intelligenten Rassen als<br />

vollkommen gleichberechtigte Glieder der Völkergesellschaft wird zulassen müssen,<br />

also seine bisherige praktische Alleinherrschaft verlieren wird. Worum es sich für uns<br />

handelt, das ist die Frage: Besitzt Europa in seiner Kultur geistige Kräfte, die ihm<br />

eigentümlich sind, und die für die anderen Rassen von ähnlichem Wert sein können bei<br />

der künftigen Gestaltung der Menschheit, wie es der tiefste Gehalt chinesischer<br />

Lebensweisheit für uns ist?<br />

Wenn wir die Entwicklung des europäischen Geistes in Beziehung auf die voraussichtliche<br />

Gestaltung der Menschheitskultur betrachten, so zeigen sich in der Tat gewisse<br />

Erscheinungen, denen wir ohne Selbstüberhebung diese Bedeutung zugestehen dürfen.<br />

Was den Weg anlangt, auf dem die Menschheit gegenwärtig sich befindet, so werden<br />

wir ohne Bedenken die Richtung erkennen, daß die Zeit der besonderen, raumgebundenen<br />

Kulturen ihrem Ende entgegengeht. <strong>Die</strong>se Kulturen lösten in der Vergangenheit<br />

einander ab, sie durchliefen die Stufen der Kindheit, der Reife, der Vergreisung, um<br />

bei ihrem Absterben ihr Erbe neuaufwachsenden Kulturpflanzen zu hinterlassen. In dieser<br />

Beziehung sind die Möglichkeiten erschöpft. Das Urgestein der verschiedenen alten<br />

Kulturrichtungen hat sich vollkommen zerrieben. Seine Trümmer liegen umher. Der Siegeszug<br />

der Maschinentechnik gibt jedoch eine universale Grundlage für jede künftig<br />

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