Die Seele Chinas - Chinaseiten
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dem republikanischen, die Völkermischung nicht fehlt. Wenn in den heißen Sommernächten<br />
die Fremden auf dem luftigen Dach des Hotels de Peking unter den Klängen<br />
einer Jazzband ihre Negertänze ausüben, so ist das für chinesisches Empfinden nicht<br />
so sehr verschieden von den kultischen Tänzen im Tempel Yung Ho Kung im Norden<br />
der Stadt. Dort tanzen die Mongolen im Winter, und ihre Lamas sind verhüllt und maskiert,<br />
daß fast nichts mehr von ihrer ursprünglichen Gestalt zu sehen ist, und die<br />
Muschelhörner und Schädeltrommeln machen den Takt dazu. Hier tanzen im Sommer<br />
die Europäer, und ihre Damen sind enthüllt und dekolletiert, so daß fast nichts mehr von<br />
ihrer ursprünglichen Gestalt nicht zu sehen ist, und die Negersaxophone und Holzklappern<br />
machen den Takt dazu. Freilich ihre Götter sind verschieden. Dort sind es geheimnisvoll<br />
zauberhafte Wesen jenseits von Zeit und Raum, hier ist es der platte, nüchterne<br />
Gott Mammon mit dem Dollar in der Hand. - Es ist aber noch ein Unterschied vorhanden.<br />
Das alte China hat die Tänze der Lamas niemals mitgetanzt. Doch Jung-China<br />
fängt teilweise schon an, Geschmack zu gewinnen an Foxtrott und Onestep, und die<br />
schlanken chinesischen Herren mit den feinen Händen und die zierlichen, wenn auch<br />
zunächst noch meist etwas dezent gekleideten chinesischen Damen im Bubikopf können<br />
sich recht gut neben ihren europäischen und amerikanischen Freunden sehen lassen.<br />
Aber das alles ist nur Oberfläche. Andere Dinge sind es, die für das vierte Peking von<br />
entscheidender Bedeutung sind. China hat seit alter Zeit nach dem Meer und nach dem<br />
Süden Beziehungen gehabt. Dort lag Kolonialland. Auch heute noch findet im Osten und<br />
Süden kolonialer Austausch statt. Vom Meer her wurden die fremden Kolonien an<br />
<strong>Chinas</strong> Küste angelegt, die heute der Schmerz und die Scham jedes vaterländischen<br />
Chinesen sind, weil sie mit politischer Unterdrückung und persönlicher Arroganz der<br />
Kolonisten Hand in Hand gehen. Der Typ dieser Kolonisation sind England und Japan,<br />
die Länder des Imperialismus. Übers Meer hin geht aber auch von China aus eine<br />
Kolonisation. Still und friedlich infiltriert sie die englischen, holländischen und amerikanischen<br />
Besitzungen im Südosten von Asien. Schon heute ist der chinesische Kaufmann<br />
und Arbeiter dort unentbehrlich. <strong>Die</strong>se Probleme werden der Menschheit mit der Zeit<br />
noch ganz neue Aufgaben stellen; denn auch hier hat das alte China ganz wie von<br />
selbst den neuen Weg gefunden. - Peking, die Nordhauptstadt, liegt diesen Vorgängen<br />
ferner. Hier ist der Ort der Auseinandersetzung mit dem Festland, dem Norden und<br />
Westen. Solange diese Auseinandersetzung nötig und möglich ist, solange wird Peking<br />
bestehen. Zu Beginn der Revolution, als alles sich nach Amerika hin zu orientieren<br />
schien, da sah es einen Moment so aus, als ob Peking zurücksinken würde in eine<br />
Periode des Schlafs und des Verfalls. Heute ist dieser Moment schon vorüber. Freilich<br />
nicht mehr die Mongolen und Mandschuren sind es, die in Betracht kommen: heute ist<br />
Rußland an die Stelle dieser Mächte getreten. Rußland stützt und fördert China in seinem<br />
Kampf um die Unabhängigkeit. Darum wird Peking eine neue Bedeutung gewinnen<br />
als eines der Zentren, wo Weltpolitik getrieben wird. Es ist leicht, sich über den Bolschewismus<br />
aufzuregen, wie England das tut, und - oberflächlich. Hier liegen Weltprobleme<br />
vor: Neuerstarken und Vordringen der kontinentalen Masse gegen die ozeanische<br />
Aggression. Wer hier zu schauen versteht, kann Blicke in die Zukunft der<br />
Menschheit tun.<br />
Doch ehe wir das moderne Peking, in dem Vergangenheit und Zukunft ineinanderspielen,<br />
näher ins Auge fassen, wollen wir noch einmal zurückkehren in das Peking der<br />
Vergangenheit, dessen Trümmer heute eher zugänglich sind, als es seine frühere<br />
Abgeschlossenheit war. Freilich ist mit dieser Zugänglichkeit auch immer verbunden,<br />
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