Die Seele Chinas - Chinaseiten
Die Seele Chinas - Chinaseiten
Die Seele Chinas - Chinaseiten
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Aber die Fürstin ließ es nicht bei Äußerlichkeiten bewenden. Sie nahm die Reform, die<br />
sie so heiß bekämpft hatte, nun selber in die Hand.<br />
Der Übergang <strong>Chinas</strong> aus der alten in die neue Zeit vollzog sich in mehreren Stufen, die<br />
sich über mehr als ein halbes Jahrhundert hin erstreckten. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
hatte der Kriegeradel der Mandschus, der bis dahin an den entscheidenden<br />
Stellen des Reichs gesessen hatte, seine alte Kraft und Ursprünglichkeit verloren. Er<br />
war versunken in den Genuß der Macht und üppiges Wohlleben, wie das gegen Ende<br />
der verschiedenen Herrschergeschlechter in China zu geschehen pflegt. Im Süden, in<br />
Kanton, war ein durchgefallener Examenskandidat, der viel mit christlichen Missionaren<br />
verkehrt hatte, aufgetreten, um das Reich des großen Friedens zu begründen.<br />
Gleichzeitig mit der Änderung der Dynastie sollte eine Änderung der Religion erfolgen;<br />
das Christentum sollte von nun an über China herrschen. Er hatte himmlische<br />
Offenbarungen und wußte, daß er der jüngere Bruder Christi sei. Wie ein Sturmwind<br />
fegte der Aufruhr durch die morschen Wälder. In einem immer mehr durch Raub und<br />
Verwüstung gezeichneten Siegeszug durchtobte er das Land. <strong>Die</strong> südliche Hauptstadt,<br />
Nanking, fiel in die Hände der Aufständischen, die dort die Hauptstadt ihres neuen<br />
Reichs T'ai P'ing, des großen Friedens, einrichteten. Der Mandschu-Adel hatte<br />
vollständig den Kopf verloren und stand wehrlos diesem Ungewitter gegenüber. Und als<br />
sei die Natur selbst gegen das Herrscherhaus, so trat die Sorge <strong>Chinas</strong>, der Gelbe Fluß,<br />
aus seinen Ufern und überschwemmte einmal wieder die weite Tiefebene, die sich um<br />
die Halbinsel Schantung im Westen herumlegt. Jahrelang dauerte es, bis die Wasser<br />
sich verlaufen hatten. Da ward auch das Bett des großen Flusses trocken, und erst<br />
allmählich gelang es, ihn in dem stark angeschwollenen Tatsin-Ho wiederzuerkennen.<br />
Während er früher südlich der Halbinsel Schantung ins Gelbe Meer sich ergossen hatte,<br />
fließt er nun seit siebzig Jahren nördlich davon in den Golf von Tschïli. - Es ist eine<br />
Umwälzung, wie wenn etwa die Elbe von da ab, wo sie aus Böhmen nach Deutschland<br />
eintritt, die ganze norddeutsche Tiefebene überschwemmen und dann nachher im Bett<br />
der Memel sich ins Kurische Haff ergießen würde. Das Herrscherhaus schien vor dem<br />
Ende zu stehen.<br />
Da erhob sich ein Retter aus der Klasse der Literaten: Tsong Kuo Fan, Er erzählt, wie<br />
sie ihre langen Literatengewänder ausgezogen und Kriegerkleidung angelegt. »Ich ließ<br />
durch unsere jungen Gelehrten die Bauern befehligen, um den Frieden des Reichs herzustellen«,<br />
sagt er einmal. So gelang es, des Aufstandes Herr zu werden, und außer<br />
ihm noch andere gefährliche Bewegungen niederzuwerfen, die im Norden, Westen und<br />
Süden sich erhoben hatten. Bekanntlich waren bei der Niederwerfung dieses<br />
Aufstandes auch einige europäische und amerikanische Bandenführer in chinesischen<br />
<strong>Die</strong>nsten tätig, über die der edle Gordon sowohl an Tüchtigkeit als auch an Charakter<br />
weit hervorragte. <strong>Die</strong> Taiping-Rebellen wurden von Position zu Position zurückgetrieben.<br />
Schließlich waren sie in Nanking eingeschlossen, und es entspann sich nun das<br />
Schauspiel eines ausgehungerten religiösen Fanatismus, das in allen Stücken auf das<br />
merkwürdigste an das Los der Wiedertäufer in Münster erinnert.<br />
Nun galt es, einmal die Trümmer des Reichs neu zu organisieren und andererseits Mittel<br />
und Wege zu finden zur Anpassung der chinesischen Welt an die neue Zeit und ihre<br />
Anforderungen. Das erste gelang mit bewundernswürdiger Schnelligkeit. Als die chinesischen<br />
Literaten in die Bresche getreten waren, taten sie es keineswegs aus sklavischer<br />
Unterwürfigkeit unter das landesfremde Geschlecht der Mandschus. Sie taten es, weil<br />
die Herrscher dieses Geschlechts sich mit der alten chinesischen Kultur identifiziert hatten.<br />
Man findet in der chinesischen Geschichte wenige Herrscher, die so groß und rein<br />
23