Die Seele Chinas - Chinaseiten
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9. Bild. Hinten am hügeligen Ufer steigt der Donnergipfel bei einem Kloster empor. Dort<br />
stand lange Jahrhunderte die trotzige Pagode. Ihre Ziegel waren von Feuer, das sie<br />
zerstören sollte, rot gebrannt. Gestrüpp und Bäume wachsen auf ihrer Spitze. Raubvögel<br />
flatterten um sie her. Aber sie stand und schützte. Das Abendrot leuchtete vom<br />
Himmel und ließ die rote Pagode aufs neue erglühen.<br />
10. Bild. Der Winter kommt. Er ist nicht streng in dieser Gegend. <strong>Die</strong> Schneeflocken, die<br />
des Nachts sich gesammelt und weiße Flocken niederwirbeln ließen, sind beim Anbruch<br />
des Morgens längst wieder aufgelöst. Auf der kurzen Brücke, die einst überdacht war<br />
von einem Pavillon, haben noch ein paar zarte Schneereste die Nacht überdauert und<br />
zerschmelzen funkelnd in der wiederkehrenden Sonne. -<br />
<strong>Die</strong>se Bilder vom Westsee wurden von den Malern immer wieder gemalt, und tausend<br />
Lieder singen von ihnen. Es ist, als sei in ihnen die Landschaft mit ihrem wechselnden<br />
Leben in Licht und Jahreszeiten auf die Erde herabgeschwebt. Denn nirgends hat der<br />
Mensch so früh wie in China die Landschaft entdeckt als Natur, unabhängig vom Menschen<br />
und doch erfüllt mit einem stimmungsvollen starken Leben, das jeder fühlt, der<br />
sein eigenes Ich vergessen und hineinhören kann in den großen Zusammenklang von<br />
Himmel und Erde.<br />
Dem Westsee folgten andere Seen und Plätze mit ihren Bildern. Von China wanderte<br />
dieses Schauen der Natur hinüber nach Japan, wo der Biwasee nun auch seine acht<br />
Bilder bekam, und die 38 oder 53 Ansichten der berühmten Landstraße, die durch Japan<br />
führt, von Meistern wie Hokusai oder Hiroshige in Holz geschnitten wurden.<br />
Auch andere Dichter lebten in der Nähe des Sees. So der Sungdichter Lin P'u, der als<br />
Eremit auf einem Hügel beim See wohnte. Er heiratete nicht, denn die Pflaumenblüte<br />
war seine Geliebte, und die Kraniche, die sich um ihn drängten, waren seine Kinder.<br />
Unbekümmert um den Ruhm vertraute er seine Gedichte den spielenden Winden an,<br />
wenn er sie aufgeschrieben hatte. Seine Freunde fingen manche auf. Hier ist eines<br />
davon an seine Geliebte, die Pflaumenblüte.<br />
Alle duft'gen Blumen sind zerflattert,<br />
Du allein bist frisch und hold,<br />
Und ich hab dich liebevollen Sinnes<br />
In mein Gärtchen hergeholt.<br />
Deiner feinen Zweige wirrer Schatten<br />
Auf dem seichten Grunde schwebt,<br />
Blüten duften, Mondesspiegelschwanken<br />
In der Dämmerung heimlich lebt.<br />
Schneeig weiße Reiher nahen spähend<br />
Mit gesenkter Schwinge sich,<br />
Wüßten es die zarten Schmetterlinge,<br />
Grämten sie zu Tode sich.<br />
Glücklich bin ich, daß dir zu gefallen<br />
Ich dies Liedchen ausgedacht.<br />
Nicht begehr ich Goldpokal und Zimbeln<br />
In der selig stillen Nacht.<br />
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