Die Seele Chinas - Chinaseiten
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zw. Nebenfrauen der Familie einzugliedern. Mit der freien Gattenwahl fällt natürlich ein<br />
Hauptgrund für das Vorhandensein der Nebenfrau weg, da ja dann ein jeder Mann es<br />
sich selbst zuzuschreiben hat, wenn es sich herausstellen sollte, daß seine Gattin<br />
weniger befriedigend ist, als er erhofft hatte. Nur die Frage männlicher Nachkommenschaft<br />
wird in den Ehesachen so lange eine Rolle spielen, als die patriarchalische<br />
Familie in China besteht, und damit wird dann, wenn die Hauptfrau ohne männliche<br />
Nachkommen bleibt, doch immer die Möglichkeit bleiben, eine Nebenfrau hinzuzunehmen,<br />
falls man die Ehe nicht - was nach chinesischen Recht erlaubt ist - deshalb<br />
lösen und eine neue Ehe eingehen will. Das neue chinesische Eherecht ist in bezug auf<br />
Scheidung viel freier als die meisten europäischen Rechte. Denn einerseits ist es nicht<br />
belastet durch kirchliche Rücksichten, und andererseits ist die Frage der Unterbringung<br />
und Erziehung der Kinder im Fall einer Scheidung in China nicht schwierig zu lösen, da<br />
die Ehe nur eine Verbindung innerhalb der Großfamilie ist, und die Kinder auf alle Fälle<br />
der Familie viel mehr angehören als den Eltern.<br />
Aus dem bisherigen geht schon hervor, daß die Heirat im Leben des Mannes nicht eine<br />
so einschneidende Epoche bildet wie in Europa, da sie ja keineswegs mit der Gründung<br />
eines eigenen Hausstandes zusammenfällt. Wenn die Braut durch den Übertritt in eine<br />
andere Familie und durch ihre neue gesellschaftliche Stellung einen ganz neuen<br />
Lebensabschnitt begann, so blieb für den jungen Mann seine Stellung innerhalb des<br />
Hauses ziemlich unverändert, höchstens daß er mit seiner jungen Frau ein besonderes<br />
Gebäude innerhalb des allgemeinen Familiengehöftes zugewiesen erhielt. <strong>Die</strong> Auswahl<br />
der Lebensgefährtin war durch die Eltern längst schon vorgenommen. <strong>Die</strong> Hochzeit<br />
wurde festgesetzt, wenn etwa aus Anlaß häuslicher Geschäfte eine weitere Arbeitskraft<br />
der Mutter des Jünglings erwünscht erschien. Der Bräutigam kam dann, wenn er auswärts<br />
war, für ein paar Tage nach Hause. Wenn er z. B. eine Schule an einem anderen<br />
Orte besuchte, so genügte eine Woche Urlaub, worauf der junge Gatte dann wieder wie<br />
bisher zur Schule ging. Damit hängt zusammen, daß der Mann, solange seine Eltern<br />
noch der Haushaltung vorstehen, oft jahrelang mit kurzen Unterbrechungen von Hause<br />
fort ist. <strong>Die</strong> Frau ist ja ebenso wie die Kinder wohlversorgt in der Familie. Darum war es<br />
für eine junge Frau ein wichtigeres Problem, wie sie sich zur Schwiegermutter stellte, als<br />
zum Mann. Mit der Schwiegermutter mußte sie dauernd zusammenleben, auch war<br />
deren Einfluß als Mutter auf den Sohn so stark, daß dieser seine Frau gegen sie nicht<br />
schützen konnte, wenn ernstliche Zerwürfnisse die Beziehungen zwischen den beiden<br />
Frauen getrübt hatten. Und solche Zerwürfnisse kamen vor. Zwar ist die Anzahl von<br />
verunglückten Ehen in China weit geringer als in den Großstädten Europas. Aber der<br />
Kampf mit der Schwiegermutter ist doch auch hier eine sehr ernste Sache gewesen (für<br />
die Frau, denn der Mann war von der seinigen ja völlig fern), und manchmal war<br />
Selbstmord die letzte Auskunft einer gequälten Frau, die keinen Ausweg aus der Hölle<br />
täglicher Familienschwierigkeiten mehr fand. Das war für die Schwiegermutter freilich<br />
stets eine sehr peinliche Sache, denn abgesehen davon, daß es in der Öffentlichkeit<br />
doch ein recht schlechtes Licht auf sie warf, war immer auch mit Belästigungen durch<br />
das Gespenst der Selbstmörderin zu rechnen.<br />
Jung-China hofft sehr viel von der Ehereform, die, wie erwähnt, sich durchzusetzen<br />
beginnt. Man will sein Eheglück in eigene Hand nehmen und selber darüber wachen. Es<br />
ist selbstverständlich, daß die alte Form der Ehe nicht länger aufrechterhalten werden<br />
kann, wenn die Persönlichkeiten differenzierter werden. <strong>Die</strong> chinesische Familie, die<br />
wenig auf das Individuum Rücksicht nahm, setzte voraus, daß die einzelne Persönlich-<br />
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